Ihre Trüffelschweine im fränkischen Einheitsbrei

Ein tragikomischer Erbstreit und ein skizzenhaftes Prequel zu Clockwork Orange 2.0

Aus den zahlreichen Neustarts der Woche beleuchten wir mit “Dedemin Fisi” eine türkische Komödie, die vom deutschen Verleiher leider unter Wert “verkauft” wird sowie den Debütfilm eines Schülers vom großartigen Michael Haneke, der mit “Uns geht es gut” gezielt mit Erzählgewohnheiten bricht.

DedeminFisiViele Filme die hierzulande ins Kino kommen leidern zumindest punktuell unter einer uninspirierten Titelgebung der deutschen Verleiher. Wenn ein in dieser Hinsicht in der Werbung nicht eingedeutschter Streifen, der auch kein Kunstwort oder etwas Englisches im Namen trägt sondern eben nur “Dedemin Fisi” betitelt ist, kann man sich an zwei Fingern abzählen, dass er auch theoretisch leider zu gefühlt 97% “nur” ein türkischaffines “Community”-Publikum erreicht, geschweige denn wie es praktisch aussieht. Dabei beweisen seit Jahrzehnten Produktionen wie die “Sch’tis”, dass Filme die vermeintlich “nur” Geschichten aus “anderem” Breiten erzählen, auch beim deutschsprachigen Publikum sehr gut ankommen können. Was wohl – um beim konkreten Beispiel made in France zu bleiben – eher nicht so funktioniert hätte, wäre der Film “nur” als “Bienvenue chez les Ch’tis” plakatiert worden. Wobei wir natürlich nicht unterschätzen, dass auch die Synchronarbeit eines Christoph Maria Herbst noch für mehr als ein paar verkaufte Tickets verantwortlich zeichnete. Hier nun haben wir es mit einem OmU-Start zu tun – etwas das eine bestimmte Klientel deutscher Kinogänger leider an sich so überhaupt nicht zu schätzen weiss. Aber es kommt erschwerend hinzu, dass der Verleih Kinostar anders als etwa zu seinen “Ballett”-Übertragungen auf Kinoleinwände keinerlei aktive Pressearbeit zu “Dedemin Fisi” geleistet hat. Andererseits: wozu sind wir hier die selbsternannten^^ Trüffelschweine im Einheitsbrei – eben! Und so legen wir Ihnen die Geschichte über die Großfamilie Çirci, die sich formal versammelt, um zu beratschlagen, wie lange man den Körper des bereits auch für hirntot erklärten Opa noch künstlich mittels Apparaten an Scheinfunktionalität halten soll (in Wahrheit aber vielmehr damit beschäftigt ist, das nahende Erbe geschickt zum eigenen Vorteil aufzuteilen), nachdrücklich ans Herz. Andernfalls werden Sie vielleicht nie erfahren, was es mit den Exkrementen einer erschrockenen Ziege auf sich haben soll oder welche Folgen es haben kann, sich bei Hänsel & Gretel die ja auch dort nicht wirklich gut funktionierende Idee mit der Brotkrümelspur abzuschauen. Oder welche fünf gar nicht so kleinen Geheimnisse besagter Opa wohl mit ins Grab nehmen wollte, wie ein Mensch nervtötender als der tumbeste Wecker klingen kann und warum die Gastgeberin plötzlich gezielt Teile ihres eigenen Tafelservice zerdeppert, während Marif (Onur Buldu), Hicri (Alper Kul), Bora (Erdem Yener) und weitere Familienmitglieder sich schlichtweg nicht einigen können, wie so unterschiedliche Güter wie das Haus des Großvaters, ein Knabberwaren-Laden und ein Stück Land gerecht aufgeteilt werden kann. Langer Rede kurzer Sinn: Die Regiearbeit von Meltem Bozoflu strotzt nur so vor komischen Szenen und verfügt auch über eine Menge Selbstironie. Nicht zuletzt spielt das Migrantendasein in Deutschland eine Rolle, wenngleich der Film, dem wir behelfsweise^^ den Biodeutsche eventuell schmackhafteren Namen “Fünf Erben und noch kein Todesfall” geben möchten, hauptsächlich in einem türkischen Dorf abläuft.

uns-geht-es-gutDer zweite Streifen, auf den wir diese Woche Ihre Aufmerksamkeit lenken möchten, stammt aus der “X Filme Creative Pool”-Schmiede. Kinokenner denken richtigerweise an “Das Leben ist eine Baustelle”, “Lola rennt”, “Agnes und seine Brüder”, “Mein Führer – Die wirklich wahrste Wahrheit über Adolf Hitler”, “Das weiße Band – Eine deutsche Kindergeschichte” oder im vergangenen Jahr “Heil” – um nur einige Beispiele der stets zumindest nominell und eben sehr oft auch de facto in ihrer Umsetzung spannenden Produktionen zu nennen. “Uns geht es gut” von Regieneuling Henri Steinmetz, der unter anderem bei Michael Haneke lernte, hat unseres Erachtens – um es vorweg zu nehmen – auch ein gewisses Vermarktungsproblem. Die offizielle Kurzbeschreibung lautet nämlich wie folgt: “Fünf junge Menschen, die im Zustand ewiger Sommerferien stehengeblieben sind. Alleine gelassen bilden Tubbie, Tim, Jojo, Birdie und das Mädchen Marie eine Ersatzfamilie. Ziellos, sehnsüchtig und hungrig wie wilde Hunde, streunen sie durch eine anonyme Großstadt. In der flirrenden Sommerhitze erleben sie gemeinsam noch einmal flüchtige Momente des Glücks. Doch die Gemeinschaft bekommt allmählich Risse…” Von unseres Erachtens nichtssagenden Floskeln einmal abgesehen, erwartet “Lieschen Müller” hier wohl gemeinhin einen klassischen Plot der irgendwie auf ein großes Ganze hinsteuert. Blickt man auf die unverständlicherweise vielen negativen, ja gar erzürnten Kritiken, die der Streifen bisher einfuhr, zeigt sich, dass aber just ein solcher dem Film mit seinem ebenso unverbrauchten wie brillanten Cast* abgesprochen wird. Letzteres nicht ganz zu Unrecht. Denn es ist eben nicht so wirklich eine runde Geschichte, wenngleich sogar chronologisch fort “erzählt” wird – es sind vielmehr Miniaturen, kleine Stilübungen. Teils herrlich skurille Überdrehungen, etwa wenn die ungleiche Clique auf einer Spießerparty ihren Teil dazu beiträgt, dass zwei Teenie-Mädchen Botox gespritzt bekommen und sie selbst alle von dem viel zu szenigen, öden Publikum nicht beachtet werden. Der Film handelt in wunderbar athmosphärischen Bildern unaufgeregt von Perspektiv- aber auch tatsächlich von Ziellosigkeit sowie hedonistischen Lebensweisen bis hin zu Fragen der Gruppendynamik und scheint ansonsten Einordnungen in Raum und Zeit partout verweigern zu wollen. In seinen am konsequentesten inszenierten Sequenzen, könnten wir uns diese im übrigen auch sehr gut als Elemente eines Prequels zu “Clockwork Orange 2.0” vorstellen. Die Milchbar ist der Champagner-Lokalität gewichen; Gewalt wie auch Erotik sind jedenfalls bereits omnipräsent, wenn auch teils “nur” zwischen den Zeilen und dem Grauen kann man durchweg ins Gesicht schauen.

* Franz Rogowski als Tubbie, Maresi Riegner als Marie, Jonas Dassler als Tim, Emanuel Schiller als Jojo, Jordan Elliot Dwyer als Birdie, Denis Moschitto als Hüseyin, Angela Winkler als Ärztin, Paul Boche als “Der Blonde”



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