Ihre Trüffelschweine im fränkischen Einheitsbrei

Filmfest München Empfehlungen

Wie in unserem Vorbericht versprochen, hier – fortlaufend ergänzt – Filme aus dem 2015er Jahrgang, deren Besuch wir nachdrücklich empfehlen:

kulturkueche.de Tipp 1: “Heil” von Dietrich Brüggemann (“3 Zimmer/Küche/Bad”) eine aberwitzige Geschichte in Zeiten verhinderter NSU-Aufklärung, bei der nicht “nur” Neonazis in der ostdeutschen Provinz, sondern auch Medien, Verfassungsschutz und sogar die Antifa ihr Fett abkriegen und Benno Fürmann endlich mal beweist, dass er mehr als zwei,drei Gesten drauf hat – Jacob Matschenz ist ohnedies immer herausragend. Vorführungen: 28.06.2015, 19:30 Uhr, ARRI Kino – Filmteam anwesend!; 30.06.2015, 14:30 Uhr, Münchner Freiheit 4 – nach dem Film: Q&A mit Regisseur Dietrich Brüggemann; 02.07.2015, 22:30 Uhr, Gasteig Carl-Orff-Saal)

kulturkueche.de Tipp 2: Die verschmitzte kirgisische Produktion “Taxi & Telephone” von Ernest Abdyjaparov. Menschen warten an oder in einem Sammeltaxi auf eine bezahlbare Fahrt von A nach B, die jedoch erst dann starten soll wenn sich wenigstens vier zahlende Passagiere eingefunden oder jemand bereit erklärt hat, den Fahrpreis für die fehlenden Gäste zusätzlich zum eigenen zu stemmen. Tragikomisch sind dabei die mittels Split-Screen-Einsatz stattfindenden Telefonate zwischen wartenden Mitfahrwilligen und deren Partnern oder vermeintlichen Freunden – eine kleine aber feine Gesellschaftsstudie in schwarz-weiß mit phasenweise köstlichstem Humor: 26.06., 17:30 Uhr Rio 2; 30.06., 22:30 Uhr, Rio 2 – nach dem Film: Q&A mit Regisseur Ernest Abdyjaparov und Produzent Hans-Erich Viet; 01.07., 16:30 Uhr, Münchner Freiheit 4 – nach dem Film: Q&A mit Regisseur Ernest Abdyjaparov und Produzent Hans-Erich Viet.

kulturkueche.de Tipp 3: “The President” des im Exil lebenden iranischen Regisseurs Mohsen Makhmalbaf beginnt mit einer Einblendung die da lautet “In einem unbekannten Land” und dabei scheinen viele der folgenden Sequenzen, vor allemd as Grundgerüst der geschichte alles andere als finktional. Sinnigerweise gar sehr mittelbar realen Ereignissen der vergangenen 25 Jahre just in jenem Land entlehnt in dem gedreht wurde und dessen in westlichen Welten tatsächlich noch immer eher unbekannte Landessprache dem Streifen seinen Klang verdankt. Aber formal geht es tatsächlich nicht speziell um georgien, wenngleich hier gleich drei Präsidenten am Stück mehr oder minder beim Volk so nachdrücklich in Ungnade fielen, dass sie mit mal mehr, mal weniger lauten Begleitumständen das Land verlassen mussten. Im vorliegenden Film indes sucht der in den ersten Minuten geschickt skizzierte Diktator nach einem anscheinend recht unvermittelten Staatsstreich der sein Regime stürzt mit seinem jüngsten Enkel unterzutauchen. Getarnt etwa als Straßenmusiker fliehen sie Richtung Küste und begegnen dabei einigen jener Menschen, die unter seinem Regime gelitten haben – Vorführungen am 02.07., 17:30 Uhr und 03.07., 17:00 Uhr jeweils (!) Münchner Freiheit 1 und nach dem Film: Q&A mit Regisseur Makhmalbaf

kulturkueche.de Tipp 4: The Wanted 18 (Regie: Amer Shomali, Paul Cowan) – ein Streifen aus den Palästinensischem Gebietem erinnert mit klassischen Interviews, nachgestellten Szenen und last but not lest animierten Stop-Motion-Kühen an ein Ereignis während der ersten “Intifada”, als eine Gruppe Palästinenser beschloss, sich mit einer Herde Kühe von der israelischen Milchwirtschaft unabhängig zu machen. Eine bittere wie aberwitzige Geschichte die unweigerlich an die grausigen Kriegsverbrechen des Staates Israel im vergangenen Jahr in Gaza erinnert, wenngleich Krieg im vorliegenden Film unmittelbar gar keine Rolle spielt ist das Thema Menschenrechte und Freiheitskampf. Vorführungen 27.06., 14:30 Uhr; 28.06., 17:00 Uhr jeweils Münchner Freiheit 4.

kulturkueche.de Tipp 5: Wer Anders Thomas Jensen Adams Äpfel mochte wird diesen Streifen abgöttisch lieben. Erneut mit Mads Mikkelsen in der Hauptrolle entwirft der Däne mit “Men & Chicken” ene Groteske die seines Gleichen in der internationalen Filmgeschichte mit der Lupe suchen kann: die ungleichen Brüder Gabriel und Elias erfahren nach dem Tod ihres Adoptivvaters, dass ihr biologischer Erzeuger ein anderer Mann war. Der lebe, mittlerweile beinahe hundertjährig, auf der Insel Ork, wo die Beiden auf eine aberwitzige Dorfgemeinschaft und vor allem auf ihre drei mit hinerwäldlerisch noch sehr euphimistisch umschriebenen Halbbrüder treffen. 26.06., 19:30 Uhr, Sendlinger Tor; 27.06., 15 Uhr City 1; 29.06., 15 Uhr Münchner Freiheit 3.

kulturkueche.de Tipp 6: Babai von Visar Morina – eine unbedingt sehenswerte Auseinandersetzung mit sozialer Ungleichheit und Asylsuche in Europa, in dem Fall einer Flucht aus dem Vorkriegs-Kosovo der 1990er Jahre – im Mittelpunkt der Geschichte stehen der zehnjährige Nori und sein allein erziehender Vater Gesim, und gesellschaftliche Zwänge, die bishin zur Selbstverleugnung reichen und letztlich Aberwitzigkeiten deutscher “Bürokratie” aka eines unmenschlichen wie unwirklichen Sytems. Vorführungen: 28.06., 17 Uhr ARRI Kino; 29.06., 22:30 Uhr HFF Kino 1; 04.07., 17 Uhr ARRI Kino.

kulturkueche.de Tipp 7: Kilian Riedhof – Der Fall Barschel – wichtige Erinnerungen und durchaus plausible Spekulationen an einen weitehrin absolut ungeklärten und vom mainstream gezielt weggeschobenenen Politikskandal, angereichert mit einer eher finktionalen Journalistengeschichte als roter Faden – leider keine Vorführungen mehr auf dem festival selbst, im Herbst diesen Jahres aber voraussichtlich bereits in der ARD.

kulturkueche.de Tipp 8: Ein Dokumentarfilm mit weit über 2 Stunden Spielzeit, ein Film der letztlich mehr Fragen aufwirft als Antworten gibt und trotzdem oder gerade deswegen extrem sehenswert ist und hoffentlich eine Art zweiter Teil erfahren wird: Overgames von Lutz Dammbeck. Seine Arbeit begann nachdem er eher zufällig eine kurze, aber höchst spannende Sequenz einer Talkshow mitbekommen hatte: Joachim Fuchsberger erzählte vor Jahren bei Anne Will, dass die Spiele seiner 1960 erstmals ausgestrahlten TV-Show “Nur nicht nervös werden” in der US-Psychiatrie entwickelt wurden. Und wer waren seine Zuschauer? “Eine verrückte, eine psychisch gestörte Nation”. Die Spurensuche Dammbecks dreht sich keineswegs nur um die Frage was auch in den USA selbst in Gameshows abgeht und wie die entsprechenden Ideen entwickelt wurden, sondern stellt einerseits Therapien zur Um- und Selbstumerziehung und andererseits die Ideengeschichte einer permanenten Revolution in den Mittelpunkt und reißt somit fundiert und differenziert in einem Spiel mit Assoziationen und gewagten Brüchen Fragen von Imperialismus, Religionsersatz und wirtschaftlicher Dominanz an. Ein zentrales Element dieser Doku ist die Auseinandersetzung mit bereits in den letzten Jahren des 2. Weltkriegs in den Staaten am Reißbrett entworfener Modelle für ein Nachkriegsdeutschland: so diagnostizierte ein Buch von Richard M. Brickner aus dem Jahr 1943 der deutschen Nation hochgradige Paranoia, sie fühle sich von allen Seiten stetig angegriffen, habe nie zu einer wirklichen Identität gefunden und deshalb Aggressionen kultiviert – ein Volk als Patient, der geheilt werden muss, gleichzeitig eine Blaupause für den gespenstischen US-Traum einer New World Order. Weitere Vorführung im Festival: 30.06., 20 Uhr HFF Kino 1 – nach dem Film: Q&A mit Regisseur Lutz Dammbeck.

kulturkueche.de Tipp 9: Ginge es in unserer Empfehlungsliste zuvörderst um schauspielerische oder inszenatorische Ausnahmeleistungen wäre “Meister des Todes” von Daniel Harrich eher nicht hier gelandet. Auf diesem Gebiet gibt es von u.a. Heiner Lauterbach, Udo Wachtveitl und Veronica Ferres hier bestenfalls Durchschnittskost, doch die geschichte selbst ist es wert aufmerksam betrachtet zu werden, wenngleich sie sich formalrechtlich als “fiktional” ausweist: es geht um die in diesem Lande leider ganz normale, todbringende windige Geschäftemacherei mit Waffen – Heckler und Koch (Eigenwerbung: “Herstellung von Pistolen und Maschinengewehren für den Einsatz im Bereich Landesverteidigung”) lassen grüßen. Konkret darum, wie sich nicht nur die Waffenschmieden selbst sondern Politik, Gewerkschaften und Polizei tagtäglich an der Verletzung von Menschenrechten, an systematischem Morden mitschuldig machen und Medien und Öffentlichkeit dazu schweigen und lieber “Asyldebatten” führen – ganz so als seien die weltweiten Flüchtlingsströme nicht eine unmittelbare Folge von der deutschen profitgier auf diesem blutigen Sektor. Im Film selbst wird nicht das große Ganze angepackt, aber vor dem Hintergrund, dass ein Mitarbeiter, nachdem er miterlebt, wie illegal Waffen nach Mexiko geschleust werden, und er Zeuge von brutaler Gewalt und Korruption wird, sich entschließt auszupacken, streift zumindest die wichtigsten Zusammenhänge – bis eben hin zum willfährigen Abnicken durch politische Kreise…. 02.07., 10 Uhr, City 1 – Filmteam anwesend

kulturkueche.de Tipp 10: Kennen Sie Ingvar Kamprad? Es ist der IKEA-Gründer! Ihn zu entführen hat sich die Hauptfigur in “Hier ist Harold” (Regie: Gunnar Vikene) in den Kopf gesetzt, nachdem er wegen einer neuen Filiale des Billigmöbelgiganten seinen eigenen Qualitätsbetrieb schließen musste und auch noch das Dach über seinem Kopf verliert. Ein teils grotesk anmutendes Roadmovie mit gesellschaftpolitischem Anspruch bei dem aber mitunter auch herzlich gelacht werden kann: 02.07., 19 Uhr, City 2 – nach dem Film: Q&A mit Regisseur Gunnar Vikene; 04.07., 14 Uhr, City 2 – vor dem Film: Einführung durch Regisseur Gunnar Vikene



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