Ihre Trüffelschweine im fränkischen Einheitsbrei

Gestern – Heute – Übermorgen

Gleich zwei Dokus stehen diese Woche im Mittelpunkt unserer “Neu im Kino”-Rubrik: “Dirty Games” bezeichnet sich selbst als “Eine Reise zu den Abgründen des Sports” – es geht um Bestechung und Schlimmeres, nicht nur in der Welt des Fußballs. “Tomorrow” hingegen hat als Ausgangspunkt die Frage, wie lange die Menschheit noch Raubbau an der Erde betreiben kann, ohne unterzugehen. Es ist aber alles andere als ein schwarzsehender Film – vielmehr ist hier der Untertitel “Die Welt ist voller Lösungen” Programm.

dirty-gamesReise zu den Abgründen des Sports könnte man auch mit dem nominellen Anspruch übersetzen, das zu zeigen, was der Profisport am liebsten ausblenden würde: seine dunklen und schmutzigen Seiten. Und “Dirty Games” zeigt eine Menge. Gleich zu Anfang etwa über viele Minuten – eindringlich in Gesprächen mit Hinterbliebenen und NGO-Vertretern -, dass rund um die geplante WM in Katar “Gastarbeiter” (insb. Nepalesen) nicht nur gnadenlos ausgebeutet und miserabel untergebracht wurden, sondern Bauarbeiter starben und seitens der Auftraggeber um deren Tod herum mutmaßlich so einiges vertuscht, zumindest kleingeredet wurde. Doch das ist hierzulande bereits seit Jahren immer wieder Thema gewesen – was natürlich nicht heißt, dass es in einem Film, der eine Bandbreite verspricht, nicht noch einmal angeschnitten werden darf. Im Gegenteil. Nur wenn dann im selben Machwerk, das im Weiteren unter anderem mögliche Manipulationen bei Boxkämpfen und Basketballspielen in den Staaten sowie auch Baugeschichten aus Brasilien berichtet, durch die Menschen, die ohnedies nicht auf der Sonnenseite des Lebens standen, angestammten Wohnraum verloren (weil am Ende auch nur Parkplätze für irgendwelche sportlichen Großveranstaltungen geplant waren) oder eine ehemalige Kommunikationschefin der australischen WM-Bewerbung plausibel das System FIFA in Frage stellen lässt – diese Produktion “aber” aus Deutschland kommt und ein Name wie Robert Hoyzer nicht mal am Rande, und selbst “Beckenbauer” nur in einem Halbsatz vorkommt, ist das schon eine insgesamt sehr bedenklich wirkende Herangehensweise.

Auffallend viel Raum nimmt dafür ein möglicher Betrugsfall im türkischen Fußball ein (natürlich nicht ohne mehrfach den Namen Erdogan einzuflechten), so dass Zuschauer, die Doppelstandards und einseitige Kampagnen satt haben, schon halbwegs froh sein können, dass in “Dirty Games” nicht auch noch Doping episch behandelt und Russland somit “nur” im Kontext WM-Vergaben als heikel dargestellt wird. Doch zu früh gefreut. Der Filmemacher Benjamin Best gibt dieser Tage wohl auch reichlich Interviews – und dort wird dann Putins Reich groß und breit in Sachen vermuteter Sportpolitik verdammt: “…wie soll sich etwas ändern, wenn man den Russen wieder alles durchgehen lässt?”. Dass allein die 23 Athleten, die bei den Olympischen Spielen 2012 gedopt hätten, aus sechs (!) verschiedenen Ländern kommen, berichtet hierzulande fast niemand und wenn, dann nur nebenebei. Russland und Doping hingegen war die letzten Wochen mal wieder in nahezu jeder Nachrichtensendung. Und zwar eben gemeinhin exklusiv. Und oft fette Aufmacherschlagzeile in den Gazetten. Von den 31 verdächtigen Athleten zu den Spielen 2008 in Peking soll es sich gar um Sportler aus zwölf verschiedenen Ländern handeln. Geht so etwas alles an einem vermeintlichen Sportexperten vorbei, oder interessiert es den Filmemacher nur nicht?

In aller Deutlichkeit: Doping ist nicht nur das genaue Gegenteil von Fair-Play – es ist fraglos zu verurteilen – auch Russland soll gerne als Täter genannt werden. Erst recht ist es wichtig und richtig – zumal Bauarbeiten ja noch im Gange sind – Empathie mit Arbeitsbedingungen wie den offenbar tatsächlich sklavenähnlichen Verhältnissen in Katar zu zeigen. Aber wann las man hierzulande mal in Aufmachergeschichten nachhaltige Kritik an der Flughafengesellschaft des Berliner BER, die allein zum Stand 2012 – vier Tote, 46 schwere und fast 200 leichtere Arbeitsunfälle – die Schuld bei den Opfern suchte? Dass ein Beschäftigter von einer fallenden Baggerschaufel tödlich am Kopf verletzt, ein Mitarbeiter von einer Radwalze überrollt und zwei weitere Beschäftigte mehrere Meter in die Tiefe gestürzt seien, hätte “in allen Fällen” daran gelegen, dass “die Mitarbeiter Sicherheitsvorkehrungen missachtet” hätten. Oder wo ist der Aufschrei deutscher Medien, dass auf zahllosen anderen Großbaustellen in Deutschland Leiharbeiter aus dem Ausland – zumindest relativ betrachtet – ähnlich systematisch ausgebeutet werden, wie es der Film aus Katar zeigt, ebenfalls keine schriftlichen Arbeitsverträge erhalten, in abartigen Unterkünften zwangsweise zusammengepfercht werden und für diese dann noch einen Teil ihres Salärs – wenn sie nicht gar gänzlich um ihren Lohn geprellt werden – abdrücken müssen…

Keine einzige Sekunde erweckt die Doku den Eindruck, dass die Macher auch nur versucht hätten, irgendetwas Negatives aus Deutschland in Erinnerung zu rufen, geschwewige denn Unbekanntes aufzudecken. Dass sogar prominenteste “Lichtgestalten” geschont werden, wenn es ausführlicher um FIFA-Fragwürdigkeiten im Allgemeinen geht, oder zwar eben die WM-Vergaben nach Russland und Katar kritisiert werden, aber kein Wörtchen über Deutschlands wohl ebenso gekauftes Sommermärchen 2006 verloren wird, spottet jeder Beschreibung. Und wenn dann Kollegen so tun, als ob dieser Streifen irgendetwas entlarvt – namentlich schwärmt “Die Zeit” so in Anbetracht des amerikanischen Basketballschiedsrichters Tim Donaghy, der verbotenerweise auch auf eigene Spiele gewettet hatte, weil er so weltbewegende Sätze wie sein Sport sei nur eine “Broadway Show mit hübschen Cheerleadern” abspult oder feststellt, dass es in der NBA primär ums Geld gehe, kann man dies nurmehr als tragikomisch verlachen. Über die Konzerne, die von Machenschaften am stärksten profitieren – etwa den seit Jahrzehnten exklusiven Partnern hier und da, den fragwürdigen Geschäften von Adidas über Coca-Cola bis hin zu zahllosen Anderen, liegt hier ebenfalls der Mantel des Schweigens. Stattdessen ein Pseudo-Schlusskapitel rund um den “FC United of Manchester”, das so tut, als sei im erfolgreichen Sportsektor die Kommerzialisierung irgendwo noch aufzuhalten. Es wäre ein schöner Traum – doch der von zu Recht gefrusteten ManU-Fans 2005 gegründete Club hängt in der sechsten (!) Ligastufe fest – ein Bereich über den deutsche Tageszeitungen oftmals nicht mal mehr in ihrem Regionalteil außer bestenfalls chronistisch in einer Ergebnisspalte ein Wort verlieren. Spannend wäre auch hier ein Blick vor die eigene Haustür gewesen – etwa wie sich beispielsweise beim lange als Underdog-Verein geltenden FC St. Pauli sehr sehr vieles “an die Gesetze des Marktes” angepasst, euphemistischer formuliert: professionalisiert hat.

TomorrowDer zweite Dokumentarfilm, der uns in der Theorie beachtenwert schien, hält im Gegensatz zu “Dirty Games” erfreulicherweise eine ganze Menge: Er heißt “Tomorrow”, und vielleicht gerade weil hier nicht so unterschwellig, wie in der alles in allem extrem mauen Sport-Geschichte irgendein großer journalistischer Anspruch behauptet wird (verantwortlich zeichnen Schauspielerin Mélanie Laurent, evtl. manchem bekannt aus „Inglourious Basterds“ oder „Beginners“ und der französischen Aktivist Cyril Dion), wirkt das Ganze durchweg unverkrampft. Von außen betrachtet überrascht das natürlich auch in Anbetracht der jeweiligen Erzählideen nicht. Hat “Dirty Games” sich doch Schattenseiten, Skandalen, ja gar Todesopfern verschrieben, geht es hier nun um Denkanstösse, die viele Menschen zumindest mittelfristig umsetzen sollen – Ideen für ein gesünderes, vor allem irdische Ressourcen schonenderes Leben. Aber wer schon viele mittelmäßige bis gar richtige schlechte “Öko”-Dokus, etwa den auch kulturpolitisch höchst fragwürdigen Valentin Thurn (Mastermind des sog. Foodsharing* e.V.)-Film “10 Milliarden – Wie werden wir alle satt?” kennt, wird sich freuen, wenn Erfolgsgeschichten nicht belehrend oder mit einem permanenten Unterton daherkommen. Dabei fängt “Tomorrow” selbst etwas betulich an, steigert sich aber fortlaufend in einen richtig lehrreichen und eben trotzdem keine Sekunde langatmigen (was bei rund zwei Stunden Dauer etwas heißen will) oder auch nur komplizierten Exkurs – das größte Manko: dass ausser einem Abstecher nach Indien zu wenig Ideen für und Lebenswirklichkeiten von wirklich ärmsten Menschen eingefangen werden konnten.

Wenngleich über einige der gezeigten Konzepte selbst im deutschen Fernsehen schon öfters berichtet wurde: so schön einfach und trotzdem authentisch, wie die Impressionen von einem Bio-Bauernhof in der nordfranzösischen Normandie, hat man die auf die Schaffung von dauerhaft funktionierenden, nachhaltigen und naturnahen Kreisläufen ausgelegte Permakultur, erst recht in einer so üppig ertragreichen Form eher selten erleben können. “Tomorrow” kommt im Übrigen auch zu Gute, dass er klar und schlüssig in die Kategorien Landwirtschaft, Energie, Wirtschaft, Demokratie und last but not least Bildung unterteilt ist.

Haben Sie, liebe Leser, beispielsweise schon von der „Copenhagenization“ gehört, einer in Dänemark durchaus erfolgreich praktizierten Idee, die Stadt zurück an die Fußgänger und Fahrradfahrer gibt? Sehr sehenswert auch die Geschichte rund um Rob Hopkins, dem Gründer der Transition Towns Bewegung, der Ideen hat, wie wir im Bereich Essen, Heizen, Fortbewegung fortan weniger auf Erdöl angewiesen sein müssen. Zahlreiche sympathische Bürger, die nicht nur bei irgendwelchen streng veganen Schnippelpartys schwafeln, dass man mal was tun müsste, sondern wirklich aktiv sind, Experten in ihrem Fach und Visionäre geben sich hier ein Stelldichein. Auch vermeintlich abseitige Fragen, wie zu beispielsweise Regionalgeld oder für Kinder stressfreiere Unterrichtsmethoden, werden recht ausführlich behandelt und somit im Idealfall nach-und-nach wirklich spannende Gedankengänge beim Zuschauer losgetreten.




* Foodsharing: ein leider sehr kritiklos gehypter Verein; auch nicht zufällig GEZ-finanzierte Journalisten haben Einflüsse – Teile unserer Redaktion konnten hier hingegen erschreckende, tiefere Einblicke in strukturelle Abläufe gewinnen: es wurde zumindest bis vor zwei Jahren teils systematisch gegenüber Händlern so getan, als ob dort selbstlos, explizit für finanziell Bedürftige “gerettet” wird. Vielmehr finden sich in diesem Verein Menschen, die “Geiz ist Geil” perfektionieren, letztlich auf dem Rücken von Obdachlosen, Refugees und anderen; Nebenprojekte von Vertretern höchster Foodsharing-Gremien sind inzwischen a la “The Good Food” gar dazu übergegangen, mit Lebensmitteln, die sie geschenkt erhalten, unverholen gewinnbringende Geschäfte zu machen… Besagte Teile unserer Redaktion haben aufgrund insbesondere Erfahrungen mit Rassismus und Unehrlichkeiten im Bereich “foodsharing München” 2014 ein eigenes Projekt gestartet, bei dem sichergestellt ist, dass ausschließlich finanziell Bedürftige profitieren – zuvörderst Obdachlose und Flüchtlinge.



Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *