Ihre Trüffelschweine im fränkischen Einheitsbrei

Bullen und Politiker Hand in Hand

Systematische Ausgrenzung von Einwanderern und ihren Nachkommen ist in Ländern wie Deutschland und Frankreich nicht erst seit zehn Jahren ein Fakt. In einem Fiktional-Film wurde dieser gesellschaftliche Missstand selten so eindringlich seziert wie jetzt in Ladj Lys zweiter Banlieu-Geschichte “Die Unerwünschten – Les Indesirables”, der Streifen toppt seinem großen internationalen Erfolg mit “Les Misérables” – Frankreichs Oscar-Kandidat im Jahr 2020 – nochmal um Weiten. 

Zu Beginn erlebt der Zuschauer eine Drohnenfahrt auf hässliche, unwirkliche Bauten mit vergleichsweise kleinen Fenstern. Der Straßenzug erinnert irgendwie eher an Legebatterien für Hühner denn an würdige Wohnverhältnisse. Berliner kennen solche Gebäude besonders gut: Ähnlich wie das “Pallasseum” sind auch die Wohnungen um die es in diesem Streifen geht vollgepfercht mit Menschen aus unterschiedlichsten Ländern mit tendenziell sehr wenig Einkommen. Doch in Frankreich sind diese weniger im Zentrum denn in den Randbereichen angesiedelt und damit  deren Bewohner sprichwörtlich aus dem allgemeinen Blickfeld verdrängt.

Lys Geschichte ist im fiktiven Pariser Vorort Montvilliers angesiedelt. Und es folgt zugleich eine eindringliche Sequenz die dem Sinnbild “Zum Leben zu wenig, zum Sterben zuviel” gezielt mit dem Holzhammer Nachdruck verleiht. Ein Sarg wird viele Stockwerke mühsam ins Freie gebracht. Weder der Aufzug noch das Treppenhauslicht funktionieren. Und so ist der Kinogänger mitten drin statt nur dabei was nun gut 100 Minuten folgen soll. In einer Geschichte über schmierige Lokalpolitiker, Rassismus, Armut, gewalttätige Polizisten, Verzweiflung, schwierige Abwehrreflexe von geknechteten Migrantenkindern, die doch eigentlich wirklich alles getan hatten, um sich anders als ihre Eltern und Großeltern die irgendwann nach Westeuropa kamen, wirklich als Teil des Landes fühlen zu dürfen, in dem sie geboren wurden, deren Sprache sie perfekt beherrschen und in dem sie relevante Jobs ausfüllen.

Neben einem über Nacht ins Amt des Interims-Bürgermeisters kommenden Charakters Pierre Forges (Alexis Manenti), der im Hauptberuf bisher Kinderarzt war, dreht sich “Die Unerwünschten – Les Indesirables” primär um drei Figuren, die trotz ihres jeweils erkennbaren Zuwanderer-Hintergrunds unterschiedlicher kaum sein könnten. Dies wird vor allem deutlich, wenn es darum geht sich abzufinden oder seine Existenz unabhängig vom Wohlwollen anderer zu behaupten. Der eine ist der Typ des sich nahezu auf Schritt und Tritt anbiedernden stellvertretenden Bürgermeisters Roger Roche (Steve Tientcheu) – ein Schwarzer der trotzdem nie wirklich Teil des Ganzen sein darf. Für die Weihnachtsfeier der örtlichen Polizei die die Bewohner der Banlieus mal mehr mal weniger gezielt schikanieren spielt er den Weihnachtsmann. Für seinen neuen Chef – Familienvater Pierre – bietet er den selben Dienst an: doch der winkt ab, das würde seine Kinder “verwirren”, und es braucht keiner weiteren Worte, dass auch dem größten Optimisten der bisher meint, dass es doch nicht so ausgeprägt sei mit dem Alltagsrassismus, klar wird, dass er wohl gehörig irrt.

Eine Stärke des Films ist aber auch, dass die anonyme Masse “der ewigen Ausländer” nicht per se glorifiziert wird. Und auch der Bürgermeister nicht nur reaktionär daherkommt. Es werden einfach ganz normale Menschen gezeigt. Menschen mit Schwächen und Stärken. Wütende Menschen, die einen Millimeter davor sind, mindestens Fäuste fliegen zu lassen. Aber auch Menschen, die sich aufopfern wollen, um auch an den Schalthebeln der macht etwas für “ihre Klasse” zu bewegen. Ein junger Mann dessen Freundin ihn als „Schmalspur-Malcom X“ persifliert, heißt Blaz (Aristote Luyindula) und ist erkennbar gewaltbereit, und sozusagen der Gegenentwurf zur heimlichen Hoffnungsträgerin des Films, der mit politischem Selbstempowerment auftretenden Haby (Anta Diaw), die im Zuge der Zwangsräumungen des gesamten Gebäudes unter einer fadenscheinigen Charade des Interims-Bürgermeisters beschließt, für die anstehenden Neuwahlen selber für dieses Amt zu kandidieren.

“Eine scharfsinnige Analyse von politischer Manipulation und struktureller Gewalt” nennt “The Hollywood Reporter” diesen Streifen der im Original übrigens schlicht “Bâtiment 5” betitelt ist, zu deutsch: “Gebäude 5″. Wie seine Leinwand-Haby ist auch Regisseur Ladj Ly das Kind malinesischer Einwanderer – wer den Namen dieses französischen Regisseurs, Autors und Schauspielers bisher noch nicht kennt: 2007 erschien sein erster Dokumentarfilm ,”365 jours à ClichyMontfermeil” über die damalige Gewalt in den Pariser Vorstädten. Ein Jahr später filmte er einen Polizeieinsatz, der so brutal war, dass die Polizisten nach Veröffentlichung der Bilder verurteilt wurden. Mit seiner neuesten Leinwandarbeit beweist der 1978 geborene nunmehr eindringlich, dass fiktionales politisches Kino am Besten mit einer Mischung aus kleinen beiläufigen Andeutungen und größeren Ereignissen funktioniert. Beides bietet “Die Unerwünschten – Les Indesirables” zuhauf.  Vieles ist extrem dramatisch, und doch hat man keine Sekunde das Gefühl, dass Ly überdramatisiert. Wer mit offenen Augen auch durch deutsche Großstädte geht, weiß – nicht erst seit Corona-Maßnahmen-Protesten oder Demonstrationen, die für ein Ende des Massenmordens durch das faschistoide Netanjahu-Regimes in Gaza und Vertreibungen und Kriegsverbrechen artikulieren – wie auch hierzulande Polizisten allzu häufig und vor allem allzu unkontrolliert nach unten treten. Auch braucht es in Deutschland nicht erst einen “F…..Fritze” Merz als designierten Kanzler: auch ohne ihn ist die Politik hierzulande keine, die „soziale Brennpunkte“ abmildern möchte. Im Gegenteil. Indes: es fehlen die letzten Jahre Regisseure die mutiges Gegenwartskino wagen, die die Finger in die wirklichen Wunden legen. Es mangelt an Kreativen, die Behörden und der Staatsgewalt auf die Finger schauen und armenfeindliche Politik in ambitionierte aber trotzdem auch künstlerisch ansprechend vermitteln. Umso schöner, dass aus dem Nachbarland nun dieser durchaus auf deutsche Verhältnisse übertragbare Streifen startet, der unaufdringlich aber nachhallend auch vermittelt, dass die Politik die Chuzpe hat Restriktionen und Ausgrenzung als Fürsorge zu verkaufen. Und dank willfähriger Medien und einer mit Brot und Spiele abgelenkten Mittelschicht damit zu oft auch noch durchkommt.



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