Ein lauwarmer Tag. Zoba hockt in der Mitte ihres Netzes und langweilt sich. Die kleine Spinne gilt ohnedies als recht eigenbrötlerisch – mit ihren Artgenossen, die reichlich die runzlige Rinde eines alten Baums am Rande der Waldwiese bewohnen, lässt sie sich nur selten ein. Dort gibt es ja auch keinen, der ihre Faszination für Blumen, Schmetterlinge oder glitzernde Regentropfen versteht, geschweige denn teilt. Für Zoba aber besteht der Sinn des Lebens eben nicht ausschließlich in einem fest gewebten Netz, in dem Insekten um ihr Leben zappeln. Spätestens seit dem Tag, an dem sie versuchte, statt sich von kleinen Tierchen nur mehr vom Nektar der Blumen zu ernähren – der ihr dann aber überhaupt nicht schmeckte –, nimmt ihre Verwandtschaft sie nicht mehr ernst. Und so lebt sie eben in ihrer eigenen Welt.
Doch ein ununterbrochenes Summen weckte die kleine Spinne nun jäh aus ihrem Tagtraum. Ihr Netz bewegte sich, ein feingliedriges Insekt versuchte sich mit aller Kraft von den Fäden zu befreien, was aber nur dazu führte, dass es sich noch mehr verhedderte. Zoba bewegte sich langsam auf den Gefangenen zu. In großer Angst, jetzt gleich aufgegessen zu werden, zappelte der noch kräft iger. „Sachte, sachte“, sagte die Spinne, der von dieser heft igen Schaukelei fast ein wenig übel wurde. „Wenn du so weitermachst, kann nicht einmal ich dich mehr befreien. Wer bist du überhaupt?“ Das Insekt beruhigte sich etwas und wisperte: „Ich bin Moskito Köster, ich lebe mit meiner Familie und Freunden am kleinen See hinter dem Wald. Ich wollte immer wissen, wie es hier aussieht, und nun stecke ich fest.“
„Du wohnst am See? Hinterm Wald?“ Die Neugierde der kleinen Spinne war riesengroß. Von dem vielen Wasser an nur einem Platz hatte ihr bereits Brummer Ottfried erzählt – in der Sonne glitzere es angeblich ganz besonders schön. Ihr Freund hatte ihr sogar angeboten, sie auf seinem Rücken dorthin mitzunehmen. Damals hatte die Spinne aus Angst vor der langen Reise aber gekniff en. Das alles erzählte sie jetzt dem Moskito, der sie mit großen Augen anschaute und überlegte, ob sie ihn gerade auf den Arm nahm. Von Zobas Aufrichtigkeit angetan, begann er, ihr den Tümpel, wo er mit seiner Familie wohnte, zu beschreiben, erzählte von den Menschen, die zum Baden gehen, und von Sonnenuntergängen, die er immer im Schwarm schwirrend beobachte.
„Was für ein Gaumenschmaus!“, tönte es plötzlich von oben. Zobas großer, fetter Cousin Franz-Josef seilte sich langsam zu den beiden herab. „Das ist ja eine Riesenmücke, die schaff st du nie und nimmer allein, lass sie uns teilen.“ „Neeeeein!“, schrie Zoba wie verrückt und der Moskito begann wieder wild zu zappeln. Die kleine Spinne versuchte, ihren neuen Kumpel zu beruhigen, und zupft e einen Faden nach dem anderen von seinen Flügeln. Währenddessen landete ihr Cousin auf dem Netz und bewegte sich langsam mit aufgeklappten Kieferklauen auf Köster zu, bereit, das Insekt mit seinem Gift zu betäuben.
„Komm ihm nicht zu nahe!“, schrie die kleine Spinne nun noch lauter und stellte sich dem ollen Franz-Josef in den Weg. „Er ist mein Freund, lass ihn in Ruhe!“ „Freund?“, lachte ihr Verwandter, „du hast sie doch nicht mehr alle. Geh mir aus dem Weg!“, und schubste sie zur Seite.
Der Moskito hing mittlerweile nur mehr mit zwei Beinen im Netz. Mit allerletzter Kraft wirbelte er mit seinen Flügeln, riss sich von den klebrigen Fäden los, schlug in der Luft mehrere Purzelbäume und fl og von dannen mit einem lauten „Danke!“ in Zobas Richtung. „Du bist doch wirklich bescheuert!“, ärgerte sich derweil der fette Cousin und gab der kleinen Spinne einen schmerzhaft en Klaps, bevor auch er sich wieder aus dem Staub machte. Der Groll von Franz-Josef juckte Zoba aber nicht im Geringsten, auch störte es sie nicht, dass ihr Netz fast komplett zerfetzt und nun wieder viel zu fl icken war. Sie lächelte leise in sich hinein und dachte nur, dass sie den Brummer bei nächster Gelegenheit bitten würde, sie doch mal zum See mitzunehmen.