Versprechen des Verleihs zufolge, müsste es der interessanteste Neustart zumindest der Woche, wenn nicht gar eine der wichtigsten Dokus der letzten Monate sein: “Da, wo der Film CITIZENFOUR aufhört, geht PRE-CRIME einen Schritt weiter.” Die Regisseure würden einige der brennendsten Fragen unserer Zeit stellen: “Wie viel Freiheit sind wir bereit aufzugeben für das Versprechen absoluter Sicherheit? Und können wir uns auf das Urteil von Computern und Algorithmen wirklich verlassen?” kulturkueche.de sagt, was dran ist an diesem Streifen, der – dies sei erstmalig hierzulande zu einer Kino-Doku – von “einer interaktiven Online Experience” begleitet wird.
Eine vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk (arte, WDR) mitproduzierte und von mehreren “Filmförderanstalten” des Landes gepamperte Doku gibt vor, sich darum zu sorgen, dass Computertechnik im Polizeiapparat aus dem Ruder laufen, eine Welt im Stil von Minority Report-Szenarien schon sehr bald Alltag sein könnte. In der Leinwandarbeit selbst wird zudem auch noch des öfteren mit Assoziationen zur “Matrix”-Filmreihe gespielt. Auf das Namedropping springen dieser Tage so auch viele Mainstreammedien an, die nominell kontroverse Produktionen gemeinhin mit Missachtung abstrafen, hier aber nahezu unisono (und dabei den Film weitgehend lobend) mit Sätzen a la “klingt nach Science Fiction, ist aber (ansatzweise) bereits Realität” fabulieren.
Doch “Pre Crime”, das so genanntes “Predictive Policing” beleuchten will, hält im Grunde nahezu nichts, was Verleih, Promoter und oder viele rezensierende “Kollegen” versprechen! Wohlwollend könnte man höchstens herausstreichen, dass der Streifen an mehrern Stellen immerhin nicht nur dezent sondern explizit daran erinnert (und im Subtext erfreulich eindeutig kritisiert), dass der Polizeiapparat in vielen Ländern (westlichen, insbesondere auch in den USA) auch ganz ohne jede Computertechnik mal mehr, mal noch mehr rassistisch geprägt ist. Aber der Rest? Viel Lärm um Nichts!
Wir wollen uns gar nicht groß damit aufhalten, zu kritisieren, dass Bilder aus Computerspielen (sic!) wie Watch Dogs oder bedeutungsschwangere Science-Fiction-Soundeffekte weitaus sparsamer hätten eingesetzt werden sollen. Auch werden wir nicht ausufernd ausführen, sondern nur erwähnen, dass man von einer seriösen Produktion erwarten will, dass es kenntlich gemacht ist, wenn vorgebliche Dokumentarfilmer irgendwelche Szenen nachstellen – allein schon, damit vieles am Ende nicht wie eine gescribbtete Privat-TV-Serie rüberkommt. Wobei eine solche – unser Wissen ruht leider von qualvollen Selbstversuchen, nicht nur vom Hörensagen – gemeinhin wenigstens nicht zigfach von aberwitzig grottigen Halbprofilaufnahmen eines Typen (in dem Fall des männlichen der beiden Regisseure: Matthias Heeder) unterbrochen wird, der salbungsvoll Sätze vor Ozeankulisse (wurden dort diverse Fördergelder für sinnfreie Zwischenschnittbilder verbraten, in Wahrheit aber nur die Seele baumeln gelassen/Urlaub gemacht?) in die Brandung spricht und auf einem Skizzenblock Zeichnungen erstellt, Worte farbig markiert… – so unbeholfen und wichtigtuerisch, dass auch nur zehn Sekunden davon selbst in jeder “Sendung mit der Maus” als unerträgliche Zumutung gebrandmarkt werden müssten.
Bilder aus Chicago, Philadelphia, London, Tottenham und München
Über all die vorgenannten und viele (!) weitere technische, formale und unter anderem auch dramaturgische Fehlgriffe, könnte man ein großes Stück weit hinwegsehen, wäre da nicht das “Problem”, dass der Film eben im Grunde gar nichts wirklich Spektakuläres zu berichten weiß: Vieles was “Pre-Crime” aus dem polizeilichen “Alltag” in Chicago, Philadelphia, London, Tottenham und München in Bildern und Interviews anreißt, oder teilweise auch nur nacherzählen lässt, hat letztlich anders als es die Selbstbeschreibung und die willfährigen Kritiken hierzulande vermuten lassen (offiziell) überhaupt nichts mit personenbezogenen Daten zu tun. Oftmals geht es “nur” darum, dass womit auch immer gefütterte, “dem Staat” von wem auch immer teuer verkaufte Computerprogramme bzw. deren Algorithmen Prognosen über vermeintlich wahrscheinliche Gefahrenlagen in Großstädten für kommende Wohnungseinbrüche abgeben. Die im Grunde nur zwei näher ausgeführten Beispiele im Film, die darüber hinaus gehen, sprichwörtlich in einer gänzlich anderen Liga spielen, zeigen, wie Menschen wegen Marihuanakonsum, Glücksspiel und oder „falscher“ Bekannte auf einer so genannten “Heatlist” landen können, sind aber auch keine wirklich neue Erkenntnis. Denn was im Film als Mühlen der polizeilichen Datenindustrie, aus denen man aus eigener Kraft nicht mehr entrinnen könne dargestellt wird, war leider auch lange vor solchen Techniken keine Seltenheit. Gerade weil eben ein Polizeiapparat als Ganzes ein überdurchschnittlich rassistischer bzw. mit sonstigen Vorurteilen gespickter Haufen ist, zielen viele “Routine”kontrollen und “Gefährder”ansprachen teilweise so haarscharf wie ein Rasensprenger.
Das größte Ärgernis an dieser Kinoproduktion ist aber ein nochmal ganz anderes! Fundierte Kritik am Staats(un)wesen als solchem, gibt es einzig Richtung China! Was in Zeiten, in denen jeder wissen kann, dass es unter anderem in den USA schon lange und ganz offiziell so genannte “no fly”-Listen gibt, in der BRD nicht nur irgendwelche vermeintlich liberalen, unseres Erachtens weniger als halbseiden anmutende “Politiker” mit Altersverifikationssystem-Vergangenheit (Huch?) mittels Onlinepranger Privatpersonen um ihren Job bringen möchten und es noch viel viel ärgere, aber auch schwerer zu belegende Geschichten zu erzählen gäbe, ziemlich – um es höflich zu sagen – “dünn” ist. Denn genau darum geht es in Deutschland und bei seinem großen Bruder sowie in nicht wenigen westeuropäischen Staaten längst: siehe Hamburg G20 (und da denken wir keineswegs nur die für sich aber auch beachtenswerten Fälle von Journalisten, die ihre Akkreditierung entzogen bekamen, wegen “Sicherheitsbedenken”, die auf “polizeilichen oder nachrichtendienstlichen Dateien” beruht haben sollen) und die auch von der Mainstreampresse angefeuerten “Diskussionen” danach. Es geht – im Moment noch weitgehend hinter vorgehaltener Hand – darum mit schwarzen oder roten Listen Menschen zu klassifizieren. Dass Polizeiaktionen mit oder ohne Computertechnik etwa in Großbritannien oder den USA letztlich auch dazu dienen (können), unbescholtene, alles andere als auch nur latent kriminelle Bürger apolitischer zu machen, kommt in Pre-Crime bestenfalls mal in Halbsätzen zur Sprache.
NSA, Snowden und Co.? Für Pre-Crime außerhalb der Selbstvermarktung offenbar kein Thema!
Die meiste Mühe geben sich die Filmemacher letztlich noch damit, die Zuschauer an die eigene Nase fassen zu lassen: jeder solle überdenken, was er tagtäglich freiwillig an sogenannten Social-Media-Daten produziert, worauf ja eben auch polizeliche Programme zurückgreifen würden. Aber gerade wenn man eben – siehe unseren Teaser vor dieser Kritik – bedenkt, dass sich “Pre-Crime” selber explizit in einem Atemzug mit einer Geschichte über Edward Snowden nennt, ist es schlichtweg unerträglich, dass in knapp neunzig Minuten das systematische Ausspähen auch der eigenen Bevölkerung durch diese oder jene Geheimdienstprogramme in den USA und Deutschland nicht einmal mit einer Silbe erwähnt wird.
Kurzum: diese Produktion geht nicht ansatzweise dorthin, wo es weh tut oder gar investigativ hätte werden können. Althergebrachtes, wie dass selbst relativ kleine Parks auch nach der Anbringung mehrerer Echtzeit-Überwachungskameras nicht wirklich zur gewaltfreien Zone werden, kann man zwar eigentlich nicht oft genug erwähnen, aber solche und andere Kapitel allein ergeben eben 2017 keinen auch nur ansatzweise lobenswerten Streifen. Ebensowenig braucht man für die Binse, dass auch die teuerste Technik eben – noch immer (sic!) – nicht hundrtprozentig zuverlässig ist, auch nur einen Cent in einen Kinobesuch investieren…
Eine Geschichte über G20-Polizei- und Staatswillkür, Genchip-Ideen, selbst über “Toll Collect” wäre sehenswerter
Dabei gäbe es auf dem Gebiet kommender oder in Ansätzen wohl bereits praktizierter Polizei- bzw. Big-Brother-Staat-“Arbeit” vor einer Menge Dinge zu warnen. Nicht nur, wer schon vor mehr als zehn Jahren die vermeintliche Fikton “V wie Vendetta” gesehen hat und – was punktuell gar noch spannender war – mitbekommen hat, wie allergisch Mainstreammedien auf solche und ähnlich gelagerte Machwerke reagier(t)en; erst recht wer wirklich gewichtige Systemkritik aus berufenen Köpfen verstanden hat, weiß, dass die wirklich spannenden Themen zwar sprichwörtlich auf der Straße liegen, aber wohl hierzulande (wo bereits unverholen “selbst” in den Kinderprogrammen der Öffentlich-Rechtlichen Genchip-Ideen/RFID-Themen willfährig beworben werden) eher nicht (mehr) so gefördert und so vermarktet werden, wie es bei “Pre-Crime” offenbar der Fall war.
Statt aber eben (auch) wenigstens ein paar Sätze über die traditionell engst mit dem jeweiligen Polizeiapparat verknüpften “Schlapphut”-Banden a la NSA, BND und Co. zu verlieren, oder zumindest zu erwähnen, dass etwa in Bayern erst in diesem Jahr – perverserweise ohne ernsthaften medialen oder parteioppositionellen Aufschrei – unbegrenzte Präventivhaft (*) “Gesetz” wurde, darf einer der beiden Filmemacher (wiederum Matthias Heeder, nicht seine Kollegin Monika Hielscher) in der “SZ” gar noch so tun, als ob man um beispielsweise “automatische(n) Nummernschild-Leser” zu entdecken, “die überall in Chicago aufgestellt” seien, und “von einer Privatfirma betrieben” würden, extra in die USA reisen müsse.
Aber selbst das Thema Lkw-Maut / Toll Collect haben ja bis heute tatsächlich so einige nicht gecheckt bzw. andere gezielt unter den Teppich gekehrt. Erst recht redet man Mainstream auch sehr ungern darüber, was der Bundestag im Mai in einer der üblichen Nacht- und Nebenaktionen beschlossen hat, dass der 2010 auf Scheckkartenformat umgestellte Personalausweis mit seinen zwanghaften biometrischen Daten künftig standardmäßig, also nicht mehr “nur” auf expliziten Bürgerwunsch, mit einer sofort einsatzbereiten und “sicher” bald auch dauerhaft zwangseingeschalteten “Online-Funktion” (besser sollte man sagen Spitzelfunktion) ausgegeben wird…
Noch ein letztes Beispiel? Für “Pre Crime” ist es zu Recht ein Thema, dass mancher Bürger in England im Grunde wohl nahezu nur wegen seines vermeintlichen Migrationshintergrunds und oder staatskritischer Äußerungen Post von der Polizei bekommen kann, die ihn darüber informiere, dass er unter Beobachtung stehe, und dass er, sollte er sein Leben nicht ändern, mit Konsequenzen zu rechnen habe. Ein “Wir beobachten euch jetzt!” kennen aber auch Politaktivisten aus allen Lagern auch in Deutschland seit Jahrzehnten. Sie und auch manche Fußballfans werden ohne, dass einem Betreffenden selber eine konkrete vorhergehende Tat bewiesen wurde oder man sich gerichtlich ernsthaft dagegen wehren könnte, vor großen Demos oder so genannten Risikospielen teilweise mit Reiseverboten / Residenzpflicht belegt. Wie sich dann ein vorgeblich journalistischer Filmemacher aus Deutschland wundern kann, dass es in England Fragwürdiges gibt (“Die kriegen richtig Platzverbot”), ohne eben wenigstens in Nebensätzen auf ziemlich ähnliches Staatsgebahren in der BRD zu verweisen, ist uns unbegreiflich.
Ach ja, die “App”
Pre-Crime, den die partiell also gar Sand in die Augen streuenden Filmemacher und ihre Vermarkter direkt und indirekt gern mit Verweis auf den dystopischen Film “Minority Report” genannt wissen möchten, hat leider gar das Zeug dazu, bei manchen noch unschlüssigen, aber ahnenden Bürger Aktivismus ins Gegenteil zu verkehren, kritische Stimmen zum Versiegen zu bringen, unter anderem weil sich das vermeintliche Nahe-Zukunft-Szenario beim Kinobesuch gar nicht so schlimm anfühlt, wie man bisher vermutete, dass es kommen könnte. Ob Hielscher und Heeder bewusst verharmlosen oder schlichtweg unfähig waren, ihr nominelles Thema halbwegs knzentriert anzugehen, vermögen wir indes nicht zu beurteilen. Wir fürchten aber Schlimmstes.
Ach ja, die “App” bzw. die “Online Experience” zum Film (durchweg englischsprachig, teils erkennbar grottig programmiert) haben wir, obwohl sich zwei von vier Webbrowsern (auf dem Handy wollten wir dies nicht “fest” installieren) nicht fähig waren oder sich warum auch immer schlicht weigerten sie annähernd funktional zu starten, auch “durchgespielt”. Die Standortbestimmung war ungenauer, als wenn der offizielle Google-Part aufgrund unserer Providerdaten (1&1 DSL) bereits gemeinhin über 70 Kilometer daneben liegt. Die Erlaubnis zur Webcamnutzung wurde dem Marketing-Tool der Kinoproduktion von uns natürlich verweigert; die folgenden Fragen über Familienstand, Drogenerfahrungen, Beschäftigungsstatus selbstverständlich ausschließlich in einer Phantasie-Variante beantwortet – das Ergebnis? Ein Score, der sinnigerweise^^ mehr als ein fünffaches über den im Film selbst genannten Höchstwert der US-Behörden liegt…
(*): https://www.facebook.com/dasZOB/photos/a.632835960081778.1073741828.632763630089011/1561910793840952/?type=3