Ihre Trüffelschweine im fränkischen Einheitsbrei

Kunst im Quadrat, mit Affen und Obdachlosen

Neu im Kino: In der Satire „The Square“ erzählt der schwedische Regisseur und Cannes-Gewinner Ruben Östlund episodenhaft über Kunstbetrieb, Medienwirklichkeiten und eine Menge oberflächliche Menschen.

Im deutschen Kunstbetrieb es ist mit wenigen Ausnahmen, wie etwa der Aktion “Die Guillotine” rund um Schaf “Norbert” von Iman Rezai und Rouven Materne aus dem Jahr 2012 in den letzten Jahrzehnten leider selten, dass jemand – erst recht ansatzweise breitenwirksam – der eigenen “Zunft”, idealerweise zugleich auch der Medienmeute und nicht zuletzt dem “Durchschnittsbürger” gekonnt den Spiegel vorhält. Vor allem die Grenzen des moralischen Kompass’ der Rezipienten werden viel zu selten mit Nachdruck ausgelotet. Geschweige denn werden von vermeintlich Intellektuellen die allzu häufig heuchlerischen Herangehensweisen zu Themen der Zeit von großen Teilen der Journaille angeprangert. Der Film „The Square“ nun lotet Anspruch und Wirklichkeit all jener drei Bereiche – namentlich anhand des Personals eines modernen Museums, den Mitarbeitern einer PR-Agentur und Medienvertretern sowie sichtlich betuchter Bürger – umfassend, kurzweilig und vor allem gnadenlos aus.

Die nominelle “Hauptfigur” in “The Square” ist dabei aber eigentlich eine – filmtitelgebende – Installation: Konkret ein Quadrat als Inszenierung von Authentizität. Statt sich weiter mit der Frage aufzuhalten, ob eine Handtasche Kunst sein kann, nur weil sie in einer Ausstellung steht, verspricht “The Square” das für diese Kinoproduktion ausgedachte Kunstwerk, vom imaginierten Besucher eines Stockholmer Museums für Gegenwartskunst moralisches Handeln zu verlangen. Politische Korrektheit interessierte Filmemacher Östlund* im Weiteren Drehplan offenbar nicht ansatzweise. Vielmehr gibt es Performance-Szenen, die auch schon mal nahezu in einer realen Vergewaltigung zu münden scheinen, und zeigen, wie Schlipsträger zum sprichwörtlichen Tier werden können, wenn sie selber keine Angst mehr vor einer blutigen Nase zu haben brauchen – weil der, den sie nach viel zu langem Zögern, plötzlich am liebsten zu Tode prügeln würden. Und so gelingt es „The Square“ – in dem unter anderem dank Kurator Christian (Claes Bang) aus Feigheit einem möglichen Handydieb Aug in Aug gegenüberzutreten, zahllose Menschen in Sippenhaft genommen werden, nur weil sie in ein und dem selben ärmlichen Wohnsilo leben; ein blondes Mädchen – damit die Masse darüber spricht – durch eine Tretmine scheinbar in die Luft fliegt; andernorts ein Affe, der sich offenbar ab und an gerne schminkt, fast genötigt wird, dem Beischlaf zweier seltsamer Menschen zuzuschauen; eine amerikanische Journalistin (Eliza­beth Moss) nur auf den ersten Blick blöd fragt; ein Junge (erneut trägt hier Christian die Verantwortung!) halsbrecherisch eine Treppe hinunterstürzt; immer wieder Obdachlose ignoriert werden; ein Kunstwerk beschädigt wird, das nur aus Dreckhaufen besteht und auch ein schnieker Tesla sowie Manschettenknöpfe eine zentrale Bedeutung zwischen den Zeilen haben – fast im Minutentakt soziale und kulturelle Vorurteile herauszufordern. Und der Film schafft es auch Fremdschämen zu provozieren. Spätestens dann, wenn der wohlfeile Altruismus so mancher Vertreter der Kunstszene ad absurdum repsektive eine Dekonstruktion sonstiger sozialer Befindlichkeiten durch-geführt wird.

Unser Urteil: Ein unbedingt sehenswerter Streifen! Weniger, weil man etwas über die fraglos nicht erfundene Blasiertheit vieler Museumsbetriebe verstehen lernt, und auch nicht einmal, weil überdies die Medien- und PR-Branche implizit ihr Fett abkriegt. Sondern weil einfach alles passt. Und dies ist bei einem Streifen, der weit mehr Zeit als die üblichen knapp 90 Minuten in Anspruch nimmt, an sich schon eine kleine Seltenheit. Hier kommt erfreulicherweise noch hinzu, dass es angefangen beim originären Score, über sämtliche Darstellerleistungen bis hin zur Kameraarbeit, so viele positive Überraschungen gibt, wie sonst in drei Filmen zusammen nicht. Anspruch pur, ohne eine Sekunde verkopft zu wirken: Applaus!

* zu einem seiner früheren Werke fragte Regisseur Ruben Östlund : “Warum ist es so kontrovers, wenn drei schwarze Kids eine Gruppe weißer Jungen überfallen? Wenn wir anfangen, darüber zu reden, kommen wir schnell auf Ausschlussmechanismen und ökonomische Faktoren zu sprechen. Das ist die eigentliche Provokation, aber darüber will niemand reden, weil man dann die Gesellschaft verändern müsste. Leichter ist es, das Bild der fünf kriminellen Migrantenjungen als rassistisch zu bezeichnen, weil man es so von sich fernhält. Ich finde es spannend, Bilder zu finden, die uns mit unseren Vorurteilen konfrontieren.” Und zu dem Terrorangriff im Pariser „Bataclan“ sinnierte er über Medien, die einen Livescreen schockierender Bilder zeigten. “Es ging dabei auch um einen Unterhaltungswert. Manche Sender schalten ja auch Werbung dazwischen. Sie verdienen am Terror und generieren durch die Verbreitung möglicherweise neuen Terror. Es ist beängstigend, dass darüber nicht einmal mehr debattiert wird.”



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