Ihre Trüffelschweine im fränkischen Einheitsbrei

Zwischen Kriegsverbrechen und Liebeswahn

“Censored Voices” – ein Dokumentarfilm aus Israel macht erstmals die kritischen Stimmen von deren eigenen Soldaten nach dem so genannten Sechstagekrieg zugänglich – sie zeigen eine bittere Realität und gemahnen auch an fortdauernde Verbrechen Netanjahus. In einem weiteren Neustart der Woche, dem österreichischen Film “Ma Folie”, geht es um den Ausbruch obsessiver Eifersucht sowie um die verschwindende Grenze zwischen Realität und Hirngespinst.

Censored_VoicesDie Auseinandersetzung zwischen Israel und den arabischen Staaten Ägypten, Jordanien und Syrien im Jahr 1967 dauerte offiziell vom 5. bis zum 10. Juni – daher der Name “Sechstagekrieg”. Nomineller Auslöser waren die Sperrung der Seestraße von Tiran, die den Golf von Akaba mit dem Roten Meer verbindet und für Israel den Zugang zum Indischen Ozean bietet, durch Ägypten sowie dem Aufmarsch zahlreicher Panzer und Soldaten. Der Krieg begann mit einem Präventivschlag durch Israelische Luftstreitkräfte und endete mit der Besetzung von Gaza, der West Bank und Ostjerusalem. In der Folge sammelten einige ehemalige Soldaten, nun mit einem Tonbandgerät bewaffnet und von einem Kibbuz zum anderen wandernd, Stimmen anderer Soldaten zu deren Kriegserlebnissen und weiteren Einschätzungen. Es kamen Inhalte zusammen, die gar nicht zu der offiziellen Siegesrhetorik in Israel passten und passen. Von Militärs beschlagnahmt und über Jahre weitgehend zensiert, gerieten diese Aufnahmen nun erfreulicherweise in die Hände von Regisseurin Mor Loushy, die in der Folge einige der damaligen Protagonisten aufgespürt, ihnen ihre früheren Aussagen vorgespielt und das Ganze mit zeitgeschichtlichen Aufnahmen unterlegt hat.

Einer der Soldaten und Initiatoren der ursprünglichen Tonbandaufnahmen ist der später international bekannt gewordene Schriftsteller Amos Oz. Die Interviewten erzählten ihm über ihre anfänglichen Ängste, in den Krieg ziehen zu müssen; über ihr Ohnmachtsgefühl, als sie erste zerfetzte Leichen sahen; über die Freude, so schnell über den allerdings sich eben kaum widersetzenden Gegner die Oberhand zu gewinnen; über erste Zweifel, ob Erschießungen sich ergebender Feinde rechtens sein können; über die Ernüchterung und das Entsetzen, als im Zuge der Besatzung von Gaza, Westjordanien und Ostjerusalem die Deportationen der dort angestammten Bevölkerung begannen. Viele Soldaten zitierten ihre Vorgesetzten – Befehle lauteten demnach “Habt kein Erbarmen!”, “Tötet so viele wie möglich!‘”…; wagten auch Zukunftsprognosen, es fielen gar in Angedenk dessen, was Israel Menschen der Region nun antue, Vergleiche mit der Vertreibung der Juden durch die Nazis – die generell düsteren Erwatungen der einstigen Soldaten haben sich, wie wir heute wissen, leider bewahrheitet, wurden phasenweise gar noch zum Leidwesen Abertausender Palästinenser übertroffen. Gaza muss seit vielen Jahren wohl als größtes Internierungslager der Welt betrachtet werden; das zynische Morden durch Israels Militärapparat, das allein 2014 dort mehr als 2.000 Menschen unmittelbar das Leben kostete, kommt erschwerend dazu.

Kurzum: “Censored Voices” ist ein absolut sehenswertes Zeitdokument, das stärker in die Gegenwart ausstrahlt, als so manche Bestandsaufnahme heutiger Mainstreammedien, die unter anderem sogar teilweise dann schweigen, wenn der Einfluss Israels auch hierzulande sogar Ausstellungen zu kritischen Aussagen heutiger Soldaten der israelischen Armee und sonstige Dokumentationen von durch das System Netanjahu verursachte Menschenrechtsverletzungen verhindert: gezielter als Oz und sein Mitstreiter Avraham Shapira damals, arbeitet “Breaking the Silence” systematisch zu Kriegsverbrechen. In Köln durften 2015 ihre unabhängigen Recherchen nicht gezeigt werden, im Staat Israel versucht man die Organisation gar systematisch platt zu machen. Die NGO hätte die Namen der Zeugen zu benennen, sämtliche Quellen offenzulegen – was das Ende ihrer Arbeit bedeuten würde und auch jene Soldaten, die sich anvertraut haben, wahrscheinlich zum Freiwild für Behörden machen würde. Bezeichnenderweise hat Israel erst unlängst ein Gesetz verabschiedet, das die Arbeit von regierungskritischen Kreisen generell einschränkt: demnach müssen künftig alle Organisationen, die mehr als die Hälfte ihres Geldes aus dem Ausland erhalten, dies nicht nur in ihren Veröffentlichungen ausweisen, sondern deren Vertreter müssen bei Besuchen im Parlament spezielle Plaketten tragen. Verstöße würden mit hohen Geldbußen geahndet. Auch wenn es keiner offen ausspricht: gemeint sind vor allem die Menschenrechtsorganisationen, die Kritik zu Israels Siedlungspolitik üben. Netanjahu offiziell: Das Gesetz solle die “absurde Situation” abwenden, in der sich ausländische Staaten über die Finanzierung von NGOs in Israels “innere Angelegenheiten” einmischen, ohne dass die israelische Öffentlichkeit davon erführe… Selbst die alles andere als für eine dezidiert kritische Haltung bekannte deutsch-israelische “Freundschaftsgesellschaft des Bundestages” sah sich gezwungen, einen Brief an den israelischen Ministerpräsidenten zu schicken – nach dem Motto kein anderes westliches Land habe eine vergleichbare Gesetzgebung, “nur” Staaten wie Ägypten, Russland und die Türkei würden ähnlich rigide gegen kritische NGOs vorgehen.

Ergänzen möchte man hier: Ja liebe Politiker, und mit eurem Brief ist es dazu nicht getan. Und liebe Medienkollegen: Wo war der Aufschrei (und da reden wir nicht von kleinen Nebenbeigeschichten in irgendwelchen Feuilletons sondern von wirklichen Nachrichten wenigstens im Umfang von Karneval-soll-zensiert-werden oder Dieter-Nuhr-wurde-angezeigt Geschichtchen) als Kölns Oberbürgermeister zu der besagten Ausstellung einknickte und sich vom “Achgut”-Hetzportal (genau dem wo z.B. der auch mit GEZ-Geldern alimentierte Hendrik M. Broder noch perverser herumtobt als unter der Springerflagge) trotzdem beschimpfen lassen musste – weil er nicht im Vorfeld verhindert hat, dass das Thema überhaupt ruchbar wurde. Selbst über das NGO-Gesetz haben anders als eben zu Türkei und Russland deutsche Journalisten wieder massenhaft geschwiegen. Immerhin kommt nun so ein immens wichtiger Film hierzulande überhaupt in breiter Form ins Kino – unbedingt ansehen!


Ma_FolieDer zweite Kinoneustart, der uns diese Woche im Vorfeld beachtenswert erschien, kommt aus Österreich: das Spielfilmdebüt von Andrina Mračnikar, ein Psychodrama namens “Ma Folie” (übersetzbar mit: meine Torheit, Wahnsinn, Verrücktheit…). Am Anfang ist es die berühmte Liebe auf den ersten Blick. Hanna (Alice Dwyer) lernt in Paris Yann (Sabin Tambrea) kennen und die Beiden kommen zusammen. Doch alsbald muss die Kindertherapeutin zurück nach Wien; mit ihrem Ex-Freund Goran (Oliver Rosskopf) arbeitet sie dort weiterhin in und dem selben, recht kleinen Betreuungsteam, das sich für Kinder aus Kriegsgebieten einsetzt. Über die Sehnsucht nach Yann helfen zunächst dessen “Lettres filmées” hinweg, poetisch-essayistische Kurzfilme, die er mit seinem iPhone aufnimmt und ihr schickt. Als er Hanna dann nach einer spontanen Einladung quasi über Nacht in Wien besucht, ist die Freude zunächst riesengroß. Doch rascht wird ihr klar, dass er quasi alle Zelte hinter sich abgebrochen hat, etwa weil sein Chef ihm nicht von jetzt auf gleich Urlaub geben wollte, sogar den Job hingeschmissen hat. Was zunächst nur nach Klette-Gefahr riecht schlägt langsam aber sicher in obsessive Eifersucht um. Yann unterstellt Hanna, mit Goran weiterhin eine Beziehung haben zu wollen, ihn selbst deswegen anzulügen, und mit dem anderen vielleicht sogar wieder nebenher Sex zu haben. Es kommt zu einem gravierenden Streit – zumindest scheint er auf ihren Wunsch hin anstandslos zu gehen – doch da fängt der Alptraum erst an! Während Hanna ihren neuen Ex zurück in Paris wähnt, bekommt sie wieder Kurzfilme – diesmal allerdings Videos voller Bedrohung und Hass. Sie wird gestalkt, fühlt sich in ihren vier Wänden nicht mehr sicher. Und sie kann anderen nicht mehr vertrauen: Goran, zu dem sie eben weiterhin beruflichen Kontakt hat (und da man sich anscheinend ohne großes Zerwürfnis getrennt hat, trinkt man auch mal einen “Kaffee” zusammen), und ihre Freundin Marie (Gerti Drassl) scheinen plötzlich Geheimnisse von ihr zu haben, sie gar auf Nachfrage aktiv anzulügen. Stück für Stück dreht die Regisseurin, die auch das Drehbuch schrieb, die Schraube des Wahnsinns fester und fester, so dass Hanna und mit ihr auch die Zuschauer irgendwann nicht mehr Realitäten von Hirngespinsten unterscheiden können. In einem Satz: “Ma Folie” ist überdurchschnittlich gut gespielt und von der ersten Minute bis zum Schluss stimmig und vor allem authentisch und spannend erzählt.



Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *