Ihre Trüffelschweine im fränkischen Einheitsbrei

Kanufahrt gegen das totale Vergessen

„Blauer Himmel Weiße Wolken“ (Kinostart: 25.05.2023) ist ein sehr privates Projekt der Regisseurin Astrid Menzel. Zunächst nur mit einer Fotokamera begleitete sie eine Zeit lang zwei ihrer Großeltern. Dann stirbt der Opa, und die Oma wird zunehmend dement. Irgendwann beschließt die Enkelin, mit ihr eine ganz besondere Reise zu unternehmen, augenscheinlich ohne das Ausmaß an Herausforderungen für sich selbst und andere Mitreisende zu ahnen.

Am Anfang war es primär der Opa, den Astrid Menzel während ihrer Studienferien filmte. Irgendwann, kurz vor seinem Tod trug der ehemalige Arzt seiner Enkelin auf, sich gut um die Oma, Carmen, zu kümmern. Die über 80jährige „Omi“ leidet nämlich da bereits an Demenz. Es kam schleichend, doch nun, als Gedächtnislücken und Orientierungslosigkeit über Hand nahmen und keiner von der Familie sich aus beruflichen und sonstigen Gründen das Haus mit ihr teilen “konnte”, musste sie in ein Altersheim. Das schlechte Gewissen, dem Wunsch vom Opa nicht nachgekommen zu sein, nagt an der Enkelin. So beschließt Astrid Menzel, zusammen mit ihrem jüngeren Bruder, die Oma in ein Kanu zu packen und über den Flussweg zum Sommerhaus der Familie zu paddeln. Die von Carmen besonders geliebten  Rummikub-Partien kann man schließlich auch unterwegs ausfechten.

Menzel (Jahrgang 1985) ist in Norddeutschland geboren, arbeitet als Autorin, Regisseurin und Produzentin. Den Regieabschluss machte sie an der Hochschule für Film „ESTC“ in Lissabon, Portugal. Nach einigen Kurzfilmen, unter anderem den mit vielen Preisen bedachten „Nicht im Traum“ (2018), ist die Doku „Blauer Himmel Weiße Wolken“ ihr Langfilmdebüt. Dabei drehte sie dieses sehr persönliche, streckenweise tragikomische und durchweg emotional packende Wasser-Roadmovie nach eigener Aussage anfangs ohne eine konkrete Filmidee. Oma Carmen sollte sich einfach nicht mehr allein fühlen, obwohl sie ihre Besuche immer fast direkt nach jedem „bis bald“ wieder vergaß.

Besagte Reise fand 2016 statt, da war die Oma schon 86 Jahre alt. Eine ausgedehnte Kanufahrt ist für alle Beteiligten nichts ungewöhnliches, das eingesetzte Gefährt gehört der Familie seit Astrid ein Kind war. Sie weiß damit umzugehen. Trotzdem ist es – das ahnt der Zuschauer spätestens ab der Mitte der rührend, aber keine Sekunde effekthascherisch eingefangenen Geschichte – eine große Verantwortung, die alte Frau am Board zu haben. Ihre Vergesslichkeit – warum sie paddeln? wohin sie wollen? selbst zu merken, dass sie „tüdelt“; das regelmäßige Fragen wo ihr Mann sei, dessen Tod sie tatsächlich immer und immer wieder überrascht zur Kenntnis nimmt… – fordert die Geschwister enorm. Besonders Astrid, die sich zwar manchmal leise auf die Zunge beißen muss, aber eine immense Geduld und vor allem spürbar viel Liebe und Achtung für die Oma aufbringt. Während der zehntägigen Kanu-Fahrt muss sie feststellen, dass es nicht so einfach ist für eine demente Frau, jeden Tag woanders aufzuwachen. Was dann auch teils mitten in der Nacht zu frustrierenden Diskussionen führt.

Diese mit Reisebeginn erstaunlich kurzweilig geratene und tatsächlich auch absolut für die große Leinwand funktionierende Produktion über Demenz im Besonderen und Sterblichkeit im Allgemeinen – und wie man damit als Familienangehöriger der ja hier mehr als sprichwörtlich “im selben Boot” sitzt, umgeht – ist auch eine Geschichte darüber, wie man an den eigenen Ansprüchen scheitern kann. Dass Nichts beschönigt wird, dass wirklich jede Minute ungefiltert wirkt, und trotz oder gerade deswegen die Würde im Mittelpunkt steht, hebt diesen kleinen aber feinen Streifen wohltuend aus der Masse an Dokus im Langfilmformat heraus. Besonders anrührend ist es immer dann, wenn man sieht und (mit)fühlt, wie Carmen in manchen Momenten die Seele baumeln lassen kann, einfach immense Freude hat den Blick ‘gen Himmel schweifen zu lassen, und wie ein kleines Kind in den verschiedensten Wolkenformationen schöne Dinge zu entdecken bzw. zu assoziieren.

 

 



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