Gleich drei Filme schienen uns von den Neustarts der Woche im Vorfeld besonders vielversprechend: “Barfuss in Paris”, “Das schaffen wir schon” sowie “On the Milky Road”. Letzterer erzählt eine abstruse Liebesgeschichte inmitten einer Bürgerkriegsszenerie des Balkans, ersterer begibt sich auf die Spuren des Slapstick-Kinos und die Produktion, die wie die Faust auf’s Auge zum im wahren Leben allerdings alles andere als tobenden Bundestagswahlkampf passt, hat sich dem Vernehmen nach auf die Fahnen geschrieben, die “Lügen der Politiker” zu entlarven, und zwar “parteiübergreifend”.
Schon in den ersten Sequenzen von “Das schaffen wir schon” wird kräftig mit deutschen Politiker(vor)namen kokettiert. Der Markus habe abgesagt. Das schmeckt Moderator Frederic Neunzig zunächst überhaupt nicht. So kurz vor der Wahl, wo er doch Vertreter aller bekanntesten Parteien in seiner beliebten und berüchtigten Talkshow noch einmal aufeinander hetzen wollte. Doch wo eine Tür zugeht, geht die andere auf: die mia-san-mia-Fraktion schickt statt dem “Söder” nämlich gar den Horstl persönlich. Und der trifft dann bei “Sechs gegen Neunzig” auf den Cem, die Sahra und die Frauke sowie auf den dicken Peter und die quietschige Andrea. Ähnlichkeiten mit realen Personen seien “dabei rein zufällig gewollt.”
In der an einigen Stellen erfrischend unkonventinellen, teils bitterbösen Politkomödie zur Bundestagswahl wirken unter anderem Marie Schöneburg, Constantin von Jascheroff, David C. Bunners, Johanna Griebel, Manuela Biedermann, Barbara Romaner, Ilka Willner, Patrick Khatami, Thomas Bauer, Lotte Ohm, Rodja Tröscher, Lars Pape, Claudia Geisler-Bading, Günther Brenner, Werner Daehn, Aykut Kayacik sowie David Bennent vor der Kamera. Viele Namen davon – insbesondere letzterer ist aber natürlich eine Ausnahme, er wurde als 13-jähriger über Nacht mit der Blechtrommel weltberühmt, hat in diesem Streifen aber ohnedies nur einen kleinen Gastauftritt – können wohl als mit Fug und Recht als weitgehend unbekannt bezeichnet werden. Und das ist, um es mit einem ehemaligen Regierenden von Berlin zu sagen, “auch gut so”: denn würde man beim Blick in eines der Politiker(double)gesichter neben dem jeweiligen Staatsdiener auch noch an eine bekannte Schauspielernase denken, würde der Film wohl überhaut nicht funktionieren.
Fehlt es dem realen Bundestagswahlkampf – erwartbar – einmal mehr an Spin, herrscht hier Bombenstimmung. Im wortwörtlichen Sinn. Denn im Zentrum der Filmgeschichte steht die Forderung einer gerade von einem perfiden Zeitarbeits-Chef gechassten Putzfrau – bedingungsloses Grundeinkommen für alle. Um das durchzusetzen kapert sie das TV-Studio. Irgendwann ist auch die Angie mitten drin im Geschehen. Und ohne zu sehr zu spoilern: wenigstens eine Politikernase wird das Ganze nicht überleben.
Die Spielfreude der Darsteller ist unverkennbar. Besonders gelungen ist die Parodie auf die im realen Leben als alles, nur nicht ansatzweise arbeitnehmer- oder gar arbeitslosenfreudige bekannte Arbeitsministerin Andrea und die Geschichte der Ursula (von der Leyen), die während der Geiselnahme den Krisenstab im Kanzleramt übernimmt. So viel Stoff sich eigentlich ersonnen wurde, um eine richtig schmissige Satite abzuliefern: unter’m Strich überwiegen laue Witzchen oder gar teils auch noch zotige Anspielungen. Die wahren Ich’s, die während die Damen und Herren Volksvertreter als Geiseln gehalten werden, zum Vorschein kommen, haben außer bei den beiden vorgenannten Damen im Grunde keinerlei politische Sprengkraft. Geschweige denn, dass wirklich relevante Lügen – gar parteiübergreifend – entlarvt würden, wie es der Regisseur zur Promo seines Films behauptete. Selbst AFD-Petry wird mehr dafür auf’s Korn genommen, dass sie – eine Binse – mit der Politik ihrer Partei nicht weit weg von der CSU ist, und noch mehr dafür, dass sie im “Wahlkampf” mit ihrem neuesten Sprössling auf Plakatwänden zu punkten versuchte. Sichwort “ständig abpumpende Milchproduzentin”.
Gerade in Anbetracht der Auflösung der zentralen Geschichte von “Das schaffen wir schon” muss man gar urteilen, dass der Streifen keinesfalls als anspruchsvolle Politsatire bezeichnet werden darf, sondern selbst den Maßstäben für eine gesellschaftskritische Komödie bestenfalls ansatzweise genügt. Viel Lärm um Nichts. Aber trotzdem irgendwie nett und wenn man an sich auf Trash steht, wird man das Eintrittsgeld nicht bereuen.
“On the Milky Road”
Noch zwiespältiger muss das Urteil zum neuesten Film von Emir Kusturica ausfallen. Nicht weil der Streifen selbst dramaturgisch oder schauspielerisch eine unterdurchschnittliche Leistung wäre. Nein. Aber wenn man etwa Produktionen wie “Underground” oder “Schwarze Katze, weißer Kater” zurück denkt, bleibt “On the Milky Road”, in dem er neben Monica Bellucci die Hauptrolle spielt, meilenweit sowohl hinter der Originalität der jeweiligen Erzählweise als auch den wunderbar absurden Regieeinfällen zurück. Dabei fängt alles ganz famos an: Ein Wanderfalke fliegt über ein Gebirge in eine Gegend, in dem Schützengräben direkt einführen, dass man es in der Folge unter anderem mit einem “Bürgerkriegs”-Szenario zu tun bekommt, aber doch auch irgendwie dörfliches Leben “weiter” geht: Eine Gänseschar, ein Esel, zwei Männer schleppen ein Schwein ins Schlachthaus, und alsbald springen die Gänse in die Badewanne mit dem Schweineblut. Das gerinnende Blut wiederum lockt Fliegen an. Die Gänse brauchen für eine kleine Zwischenmahlzeit nurmehr zuzuschnappen. Und irgendwann treten des weiteren neben einer Schlange und einem Hubschrauber, die beide ganz besondere Rollen spielen werden, eben auch die beiden Hauptdarsteller auf. Sowie eine frühere Turnerin namens Milena (Sloboda Micalovic), die ihren Bruder Žaga (Predrag Manojlovic mimt einen Kriegsveteran aus Afghanistan) mit der Bellucci-Figur verheiraten will, selber auf den von Kusturica verkörperten Charakter – dem Milchmann Kosta – steht, dieser aber wiederum – Sie ahnen es? – eben mehr auf ihre Schwägerin in spe…
In dieser Liebesgeschichte in Zeiten des Bürgerkrieges zwischen Nostalgie und Aufbruchsstimmung tauchen denn auch noch der Ex der umworbenen Italienerin und ein riesiger alter Baum auf. Es gibt die eine oder andere musikalische Einlage, viele kleine Nebensächlichkeiten, die mehr als ordentlich, oft auch ein wenig überraschend inszeniert sind, aber unter’m Strich: Durchschnittsware. Unbedingt empfehlenswert trotz auch vieler poetischer Einfälle und einer Sequenz, die Soldaten der so genannten internationalen “Friedenstruppen” als tendenziell bestechlich und vor allem extrem gewalttätig zeichnen, wirklich nur für Leute, die alles mit Balkan-Beat sehen wollen. Alle anderen sollten hoffen, dass Kusturica in absehbarer Zeit mal wieder mit seinem “No Smoking Orkestra” auf deutschen Bühnen unterwegs ist.
“Barfuss in Paris”
Wenn in der kleinen Bibliothek des verschneiten, nordkanadischen Dorfes in dem dieser Film, der in der Folge weitgehend in der “Stadt der Liebe” spielen wird, beginnt, die Tür aufgerissen wird und in den bonbonfarbenen Minuten danach, könnte man denken, in eine neue “fabelhafte Welt” einer allerdings optisch – naja, sagen wir – noch schrägeren Amélie zu geraten. Es wird aber sehr bald klar, dass das Macherduo Gordon & Abel in ihrem neuen Film “Barfuß in Paris” vielmehr Reminiszenzen an Slapstick- und Stummfilmzeiten in die Moderne übertragen will.
Die Grundgeschichte ist schnell erzählt: Fiona war ein kleines Mädchen, als ihre Tante Martha besagtes Dorf Richtung Paris verlassen hat, um dort Tänzerin zu werden. Nach Jahrzehnten bekommt sie nun zum ersten Mal ein Lebenszeichen von ihr: Martha, mittlerweile knapp 90 Jahre alt, brauche ihre Hilfe. Man wolle sie ins Altersheim stecken, Fiona solle kommen, damit sie nicht alleine lebe. Kurz entschlossen fährt die Hauptfigur nach Frankreich, verpasst ihre Tante allerdings. Denn die leicht verwirrte alte Dame versteckt sich vor’m Altersheimpersonal, das sie aus der Wohnung zu zerren droht. Nur der Zuschauer, nicht ihre Nichte, weiß zunächst, dass sie durch Paris irrt. Selbiges, die ja nicht mal in die Wohnung ihrer Tante kann, tut in der Folge auch Fiona und verliert dabei sprichwörtlich alles, was sie nicht direkt am Körper trägt. Der positive Nebeneffekt: so lernt sie mittelbar einen Clochard namens Dom kennen, landet auf einem fremden Begräbnis und verliebt sich – wohl zum ersten Mal in ihrem Leben.
Fiona Gordon und Dominique Abel sind nicht nur für Drehbuch und Regie verantwortlich, sondern spielen auch die Hauptrollen. Die beiden Tänzer sind (auch) im realen Leben ein Paar – seit 30 Jahren. Sie Australierin mit kanadischen Wurzeln, er Franzose. Die zwei haben mittlerweile einige Filme zusammen verwirklicht, zuletzt „Die Fee“, der 2011 bei den Filmfestspielen in Cannes lief. Für ihre neue Produktion haben sie neben der Anfang des Jahres verstorbenen Emmanuelle Riva (sie spielt die Martha, “Hiroshima, mon Amour” war ihr Durchbruch, in Michael Hanekes Drama “Liebe” wurde sie 85-jährig für den Oscar nominiert) auch Altmeister Pierre Richard (Marthas Tanzpartner und ihre alte Liebe) gewonnen. Die beiden Hauptdarsteller selbst stellen nicht nur ihr tänzerisches Können sondern auch eine kleine Slapstick-Revue zur Schau. Jacques Tati hätte an dieser liebevoll inszenierten, sehr poetischen und auf visuellen Humor setzenden Geschichte mutmaßlich seine helle Freude gehabt. Für uns ist “Barfuss in Paris” nicht zuletzt aufgrund seiner dezent eingestreuten gesellschaftspolitischen Untertöne einer der schönsten Filme, die aktuell in deutschen Kinos laufen.