Ihre Trüffelschweine im fränkischen Einheitsbrei

Wenn Gott Scheiße regnen lässt

Noch zu seinen Lebzeiten hat Manfred Deix das Drehbuch zu „Willkommen in Siegheilkirchen“ nach Motiven seines Lebens abgenickt und sogar als Art Direktor mitgewirkt. In dieser Woche nun endlich startet der Animationsfilm – nach diversen Verschiebungen aufgrund der “Corona”-Unwägbarkeiten für die Branche – im Kino. Es ist ein Film in Deix’ typisch bissiger Manier, der scheinheilige, engstirnige, fremdenfeindliche Provinzler in den 1960ern zeigt.

In Siegheilkirchen, im niederösterreichischen Hinterland, wo seine Eltern eine Gaststätte bewirtschaften, wächst der “Rotzbub” auf. Er träumt viel und zeichnet gern. Oft eher (aus der Moralvorstellung von vor sechzig Jahren betrachtet) wenig Jugendfreies – sehr zur Freude seiner Mitschüler. Eine pummelige Magd etwa dient ohne ihr Wissen als Modell dabei für “amouröse” Bleistiftskizzen, vom Kopfkino der Pubertierenden ganz zu schweigen.

Besagte Kneipe ist der Treffpunkt der Dorfprominenz: der Bürgermeister, der Polizist, der Priester… Des Rotzbubs Eltern – ein einarmiger Kriegsinvalide und seine Frau – wollen, dass der Junge mal die Kneipe übernimmt. Doch der Kleine hat andere Sorgen: er ist bis über beide Ohren in das freche und furchtlose “Zigeunermädchen” Mariolina verliebt, deren Familie von den Dorfbewohnern mehr als argwöhnisch beäugt wird. Nur in Poldi, dem Wirt in der neueröffneten und von den Einheimischen systematisch gemiedenen “Jessy-Bar”, findet er einen Seelenverwandten und Luft zum Atmen…

„Willkommen in Siegheilkirchen“ heißt der erste Animationsfilm von Marcus H. Rosenmüller („Wer früher stirbt ist länger tot“, „Sommer in Orange“ oder „Der Boandlkramer und die ewige Liebe“), entstanden in enger Zusammenarbeit mit dem hierzulande bisher eher unbekannten – obgleich u.a. im Animationsdepartment bei “Ein Hologramm für den König” tätigen – Kollegen Santiago López Jover. Der Stil und die Zeichnungen basieren auf dem Werk des legendären Manfred Deix (1949-2016), dem vielleicht noch immer wichtigsten österreichischen Karikaturisten, Grafiker und Cartoonisten. Die Geschichte fußt auf dessen ureigenster Biografie als kleiner Bub in Böheimkirchen, wo seine Eltern wie im Film ein Gasthaus betrieben. Der bissige, provozierende und oft auch umstrittene Deix griff gesellschaftliche Tabus in Österreich (auch gut auf Deutschland übertragbar) wie kaum ein anderer an. Egal ob Politiker, Kirchendiener oder so genannten Prominente – alle engstirnigen und ewig gestrigen, hohlen und eitlen – kriegten bei ihm schonungslos ihr Fett ab. Für die erste Arbeit an diesem Film stand der damals bereits schwerkranke Deix auch als Artdirektor zur Verfügung.

Die Geschichte um Siegheilkirchen und deren Bewohner ist sehr unterhaltsam erzählt, wobei die allerbeste Szene tatsächlich gleich ganz zu Beginn abläuft: und ein schönes Wiedersehen mit Deixfiguren, die in den früheren Jahren in Österreich für viel Wirbel gesorgt haben. Wäre der Animationsfilm vor zwanzig Jahren erschienen, wäre er – auch technisch gesehen – eine absolute Sensation gewesen. Aber es fehlt das Gallige, der in letzter Konsequenz ausgekostete schwarze Humor. In der aktuellen Zeit verfehlt die Produktion somit leider einen Großteil ihrer möglichen Wirkung, dient vielmehr als unterm Strich weniger bissiges denn letztlich versöhnliches Geschichtsbüchlein über amoralische und latent fremdenfeindliche, aber letztlich eher trotteligen statt wirklich gemeingefährlichen Menschen vor einigen Jahrzehnten.

Nicht, dass es dieses Problem nicht heute noch geben würde, nur ist es eben längst wieder weitaus größer als eine mit Dorfnazis zechende Ordnungsmacht. Wobei im Film letztlich sogar eine brandgefährliche Szene aufgebaut wird, während der anstehenden Einweihung des neu bemalten Rathauses, planen einige Dorfnazis, den unliebsamen Sinti und Roma den Gar auszumachen – aber (Achtung Spoiler!) dass sich so etwas dann eher in Slapstick auflöst ist einer der ganz großen Schwachpunkte von Siegheilkirchen.

Es wäre spannend zu wissen, was Deix speziell die vergangenen 2 1/2 Jahre wie beurteilt und verarbeitet hätte – vielleicht so wohl dosiert anarchisch wie Roland Düringer, der im Film eine der Synchronrollen übernahm?



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