Ihre Trüffelschweine im fränkischen Einheitsbrei

“Überall Chaos” – das neue Album von Rainer von Vielen

Songs von “Rainer von Vielen” zeichnen sich seit jeher durch Energie und Glaubwürdigkeit aus. Die vier Musiker aus Kempten, die 2005 entsprechend nicht zufällig auch den österreichischen Protestsongcontest beim Kultsender FM4 gewannen, sind regelmäßig auch bei G8- bzw. neuerdings zwangsläufig G7-Protestaktionen vertreten, dort dann aber jene Künstler, die erfreulicherweise mit am Unverkrampftesten wirken. Rainer Hartmann, der Hauptsänger und damit das Gesicht der Band sieht seine Combo, die vor fünf Jahren zusammen mit dem Intendanten des Jungen Schauspiels Hannover, Florian Fiedler in Form des Bühnenstücks “Mythen der Freiheit” aufs Vortrefflichste bewiesen hat, dass Anspruch und Unterhaltung, Musik und Spiel, “Rockoper” und Theater-Satire hervorragend gepaart werden können, auch gar nicht unbedingt zuvörderst als Protest- oder politische Band. „Von ‘Attack’ kenne ich ‘Global denken, lokal handeln’. Wir als Band können Menschen zusammenbringen, die Gleiches empfinden, und unsere Meinung mit ihnen teilen“, sagt der Mann, der eigentlich Drehbuch studiert hat. Und über den Begriff “Heimat”: “Das ist der Platz, wo die Leute sind, die wir gern haben. Heimat hat sehr viel mit Liebe zu tun, aber wir verstehen uns schon sehr als Weltbürger und nicht als Patrioten.” Entsprechend beziehe sich Heimat beim Musikprojekt Rainer von Vielen sehr stark auf die Musik, auf die Instrumentalisierung: “Das sind die Klänge, die man aus unserer Gegend kennt: Akkordeon, was ich als Kind gelernt habe, Hackbretter, Bläser, Maultrommel …” Rainers wirklich ganz eigener, von elektronischen Beats und Melodien dominierter Stil, zwischendurch immer mal wieder ergänzt mit fulminantem Oberton-Gesang, ist mit das Originärste, was die letzten Jahre an deutschsprachigen Produktionen das Licht der Tonträgerwelt erblickte.

Obgleich die Truppe, in der neben Rainer seit jeher Michael “Mitsch Oko” Schönmetzer (Gitarre) und Daniel “Dan le Tard” Schubert (Bass) wirken sowie seit 2014 (da gab es auf der Position des Schlagzeugs einen Wechsel – bis dato war zumeist “Niko Lai” zu Gange) auch Sebastian Schwab, schon immer “von vielen Stilen so viele” mixte (wodurch dann irgendwann auch mal der Begriff “Bastardpop” die Runde machte), ist die neue CD, die am 03. Februar in die Läden kommt, die vielleicht sperrigste bisher. Was vielleicht auch ein klitzeklein wenig an zwei “neuen” Stimmen liegen mag: Frontmann Rainer übt sich nun an ein paar Stellen auch im Falsett-Gesang; und wie dereinst bei Knorkator wird nun auch bei dieser Combo der eigene Nachwuchs (nun gut: zunächst nur einer der Sprösslinge der Herren – alle Vier sind inzwischen Familienväter) mit ins Rennen geschickt. Auch ohne die Kinderstimme ist der entsprechende Song (“Alles tun”) einer von der Sorte, den man nur lieben oder hassen kann – die Mehrheit jener Kulturküche-Redaktionsmitglieder, die “RVV” seit Jahren fest in ihrer persönlichen Top5 von Künstlern im deutschsprahigen Bereich verankert sehen, konnte bei einer ausgiebigen Listening-Session eher weniger mit dem Stück anfangen. Mit anderen Tracks, auch weil es wieder eine Menge Doppelbödiges zu entdecken gibt, hingegen eine Menge.

Im Opener etwa, in dessen Textzeilen sich der Albumtitel mehrfach wiederfindet, der aber trotzdem nicht “Überall Chaos” sondern “Divan” heißt, und relativ zu Beginn von einer von hier bis zum Mond reichenden “To-do-list” erzählt und gleichzeitig Raum bietet, sich in diesen tatsächlich ungemeinhin hektischen (und ausbeuterischen) Zeiten mal ein wenig auszuklinken: “Boom, Boom, Boom, Boom, – Lauter geht es wohl immer doch mein Limit ist erreicht. Lauf, lauf, lauf, lauf schneller – bis mein Kopf einer Stoppuhr gleicht. Tick tack tock, tick tack tock, Dieser Rythmus geht rein, doch mit ihm gehst du am Stock…Aus dem Schaufenster werfen Monster-Fernseh-Displays Ihre Bilder auf die Straße – Graffitti ohne Sprays…” Als Anspieltipp empfehlen wir insbesondere “Der größte Tag” – der wie die Faust aufs Auge der noch nicht gänzlich von braunen Rattenfängern vereinnahmten Menschen passt, die sich zu Recht nicht mehr so wirklich wohl in ihrer Haut fühlen können.

Jene, die nicht zu der Kategorie zählen, die Band noch gar nicht oder nur ein wenig zu kennen, werden feststellen, dass Rainer von Vielen vom Sound her zumindest punktuell ein Stück “härter” geworden sind. Aber es gibt natürlich auch wieder die leisen Töne auf der CD: sinnigerweise insbesondere als Rausschmeisser (“Aneinander rauschen”). Und nach der genialen Version von Sidos Block vor einigen Jahren erneut auch eine Coverversion: Leider ist das “Wir kümmern uns” (im Original bei Faith No More “We Care A Lot”, im Videoclip bei RVV ist am Anfang gar die gänzlich überschätzte Sibylle Berg zu sehen) ein wenig zu uninspiriert ausgefallen, um all den heuchlerisch besorgten CSU-, AFD- und sonstigen Stammtischfressen des Landes wirklich ernsthaft den Spiegel vorzuhalten und als Künstler nicht Gefahr zu laufen, selber ein klein wenig zu unbesorgt rüberzukommen. Insgesamt, und wenn überdies auch sogar ein wirklich ganz großer Kracher (ein Song, den man fortan in einem Atemzug mit beispielsweise “Tanz Deine Revolution”, “Plan X” oder “Neu Definieren” nennen müsste) geschweige denn eine wirkliche Hymne (a la “Wenn die Welt untergeht”) fehlt, ist “Überall Chaos” dennoch ein Album, mit mehr Höhen als Tiefen. Vor allem die ersten fünf und die letzten zwei Tracks haben es unbedingt verdient, fortan bei den Konzerten live genossen werden zu können.

Apropos: Am 25. März werden RVV in Bamberg gastieren – leider nicht im Morph-Club wie in den letzten Jahren, denn dieser ist ja seit geraumer Zeit bedauerlicherweise Geschichte (dem Vernehmen nach soll eine “Sportsbar” die Räume demnächst neu eröffnen) – das Konzert der Mannen um Rainer Hartmann wird konkret in der “Alten Seilerei”, also im Gebiet zwischen Margaretendamm und Schlachthof stattfinden.



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