Ihre Trüffelschweine im fränkischen Einheitsbrei

Sture Böcke, von Grímur Hákonarson

StureBoeckeFilmIn einem abgeschiedenen Dorf im Norden Islands fristen zwei Brüder fast Tür an Tür ein Leben für die Schafzucht: Gummi und Kiddi sind beide nicht mehr die jüngsten, beide ledig und – warum auch immer – derart zerstritten, dass sie seit 40 Jahren kein Wort mehr miteinander wechseln. In seltensten Fällen fungiert ein Hund als Postbote zwischen ihnen – der darf dann schnell dahin gekritzelte Notizen in seinem Maul hin und her tragen. Alles, wirklich alles in diesem Tal – nicht nur bei diesen Beiden – dreht sich um besagte Schafe. Sie sind nicht nur die wichtigste Einnahmequelle in der Region, sondern bedeuten für die Einheimischen auch emotional viel. Und so schlägt die Nachricht, dass beim gerade erst in einer extrem knappen Kür preisgekrönten Bock von Kiddi “Scrapie” (TSE) – eine bei Ziegen und Schafen übertragbare, langsam tödlich verlaufende Erkrankung des Gehirns (Enzephalopathie) – festgestellt worden sei, sprichwörtlich wie eine Bombe ein. Was die Züchter der Gegend sofort befürchteten wird auch rasch Realität: Die Aufsichtsbehörden verordnen, dass (vorsorglich) alle Schafe der Region getötet werden müssen, um eine Ausbreitung der Seuche zu verhindern. Das bedeutet für die Bauern neben der psychischen Belastung an sich und den – trotz einer gewissen monetären Unterstützung der Regierung als Ausgleich – gravierenden finanziellen Zukunftsängsten das Aussterben einer ganz besonderen Schafszucht, denn die Brüder und die Anderen arbeiteten noch – was selbst auf Island keine Selbstverständlichkeit mehr ist – traditionsbewusst, streng ökologisch wie ihre Vorfahren.

Während Gummi scheinbar mit den Behörden kooperiert, seine Herde vernichtet und den Stall desinfizieren lässt, droht bei Kiddi, dass die Verordnung in Bälde mit Staatsgewalt durchgesetzt werden muss. Er macht zu allem Unglück seinen Bruder für alles verantwortlich, war es doch Gummi der als erster Anzeichen von TSE bei Kiddis Bock bemerkt und somit zur offiziellen Meldung beigetragen hat. Dabei ist es eben just sein Bruder der in Wahrheit versucht, einen kleinen Restbestand seiner Schafe irgendwie an den Beamten vorbei zu sichern – bis nicht nur Kiddi seinem Geheimnis auf die Spur kommt. Alsbald stehen die Beiden vor der Wahl, ihre Streitigkeiten weiter fortzusetzen oder sich zusammen zu raufen, um wenigstens einige Schafe zu retten.

“Sture Böcke” heißt der dänisch-isländische Film von Grímur Hákonarson, der am 31.12.2015 in die deutschen Kinos kommt. Glänzend nicht nur wegen atemberaubender Landschaftsaufnahmen, sondern vor allem dank zweier unglaublich starker Charakterdarsteller: Sigurður Sigurjónsson und Theodór Júlíusson. Mit seinem trockenen Humor überzeugte der Streifen auch in Cannes und gewann den Hauptpreis der Sektion “Un Certain Regard”. Da es im Film kaum große Dialoge gibt, sind es das Spiel, die Kameraführung sowie eben auch die Landschaft, die die Zuschauer in ihren Bann ziehen. “Sture Böcke” führt die engste Verbundenheit einiger Menschen mit Tier und Natur vor Augen und lässt Zeuge innerer Zerrissenheit und Trauer werden, hier sanft verwoben mit Situationskomik. Ein relativ plötzlicher Actionausbruch zum Schluss der Geschichte tut da keinen Abbruch – der Regisseur kehrt bald wieder zu seinem Erzähltempo zurück und hinterlässt melancholische und hoffende Zuschauer. Absolut sehenswertes Kino aus dem filmisch ohnedies häufig spannenden Norden Europas.



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