Aufgrund eines starken Unwetters gibt es keine Bahnverbindung mehr von München nach Hamburg. So landen vier ungleiche Passagiere in ein und dem selben Taxi, um die ganze Nacht durchzufahren. In der am 14. Dezember neu im Kino startenden Tragikomödie „791 km“ von Tobi Baumann wird geschrien, gelacht, gestritten, geschimpft, gesungen und gebeichtet.
Das Taxi von Joseph (Joachim Król) ist die letzte Hoffnung für zwei weibliche Fahrgäste doch noch pünktlich nach Hamburg zu kommen nachdem der Bahnverkehr aufgrund großer Stürme in München völlig zum Erliegen gekommen ist. Marianne (Iris Berben) – eine Althippy und Linguistik- und Soziologie-Professorin im Ruhestand – sowie Tiana (Nilam Farooq), die für ihr Startup einem wichtigen Präsentationstermin am nächsten Morgen in der Hansestadt entgegen fiebert. Letztere ist in Begleitung von Phillip (Ben Münchow), der weniger ans Geldverdienen denn ans Chillen denkt und seiner Freundin damit wohl nicht erst seit ein paar Stunden mächtig auf den Geist geht, was Tiana nun aber demonstrativ zur Schau stellt, indem sie im rettenden Taxi hinten gezielt nicht an seiner Seite Platz nimmt. Zwischen dem zerstrittenen jungen Paar sitzt somit zu Beginn der Fahrt die auffallend schweigsame Susi. Joseph hat ganz eigene Gründe, um gen Norden, konkret nach Bad Bramstedt, zu fahren, und eigentlich gar keinen Bock die Anderen mitzunehmen, aber drei Entschädigungs-Gutscheine der Bahn für die er jeweils 350 Euro abrechnen kann, wirken letztlich überzeugend.
Ob Susi (Lena Urzendowsky) auch einen Voucher in der Tasche hat, fragt Joseph gar nicht mehr ab. Nach der ersten, sehr rasch geforderten Pinkelpause wird allen anderen klar, dass die 24jährige eine geistige Beeinträchtigung hat: Sie redet in Kindersprache und verhält sich wie ein kleines Mädchen. Mit ihrer Gabe, alles sehr genau zu beobachten und auch immer ganz geradeaus die Wahrheit zu sagen, egal wie passend oder eben unpassend der Zeitpunkt ist, bringt sie die anderen dazu, zu reden, obwohl sie lieber vieles nur für sich behalten hätten. Susi ist wie ein Lackmustest für ihre Mitfahrer, sie zwingt sie mit ihrer Art, Farbe zu bekennen.
Der Filmtitel „791 km“ bezieht sich auf die Länge der Strecke zwischen München und Hamburg. Die Idee, auf engstem Raum unterschiedlichste Persönlichkeiten mit unterschiedlichsten Lebenserfahrungen und -einstellungen zu packen, kommt vom Regisseur Tobi Baumann („Faking Hitler“) und ist eigentlich ein probates Mittel für einen Actionfilm oder eben eine Komödie. Diese hier, die nebenher zahlreiche tragische Geschichten anreißt, ist zwar kein Roadmovie über das man noch Jahre sprechen wird, aber auch mehr als nur eine “nette” Unterhaltung in der Vorweihnachtszeit. Was auch an manch pfiffigen Dialogen von Drehbuchautor Gernot Gricksch („Das Leben ist nichts für Feiglinge“) liegt. Wenngleich die innewohnende Message „redet miteinander, solange noch Zeit dafür ist, versöhnt euch lieber spät, als nie“ in der zweiten Filmhälfte viel zu holzhammermäßig nicht nur an einer Stelle eingeflochten wurde.
So oder so: die Fahrgäste reden mit der Zeit viel und unbeschwerter über die Dinge die die letzten Monate oder gar Jahre eine wesentliche Rolle in ihrem Leben spielten – samt dem Fahrer. Ab und zu wird es dabei für den Zuschauer kitschig, Manches drückt gar regelrecht auf die Tränendüse. Schauspielerisch am Besten wirkt in der Gesamtschau Joachim Król. Iris Berbens Professorin ist hingegen die schwächste Leistung in “791 km”, obwohl vieles in diesem Film Stereotype aufbrechen soll, agiert sie viel zu klischeehaft. Auch Münchows („Weil wir Champions sind“) Phillip wirkt im Vergleich zu seiner Filmpartnerin Farooq („Contra“) eher blass. Die 23jährige Lena Urzendowsky („Das weiße Kaninchen“, „Luden“) schafft es hingegen mühelos, ihrer Susi die nötige Glaubwürdigkeit zu geben und aus ihr eine liebenswürdige Nervensäge denn ein Mitleid heischendes Opfer zu machen.