In einer brasilianischen Großstadt versuchen asiatische Arbeiter Fuß zu fassen, träumen davon später auch eigene Geschäfte zu betreiben. Doch das Leben hier verläuft nicht einfach, man bleibt fremd. Auch wenn es keine Doku ist: Nele Wohlatz spürt mit „Sleep with your eyes open“ (ab 13.06.2024 im Kino) dem Gefühl vieler Migranten auf der Welt nach.
Die Taiwanesin Kai reist als Touristin in die brasilianische Küstenstadt Recife. Vor dem Abflug wurde sie derbe versetzt, nun macht sie den Urlaub eben allein. Als in ihrem Hotelzimmer die Klimaanlage streikt, begibt sie sich auf einen großen Basar und entdeckt dabei den kleinen Laden des Chinesen Fu Ang, der ausnahmslos Regenschirme verkauft. Dumm nur, dass die Regenzeit dieses Jahr ausbleibt. Er borgt Kai für ihr kaputtes Gerät eine Zange und als sie diese wieder zurückgeben will, gibt es im selben Geschäft einen anderen Besitzer mit einem anderen Billigsortiment aus China. Aus Fu Angs Hinterlassenschaften landet dank der Freimütigkeit des neuen Glücksritters eine kleine Kiste mit touristischen Ansichtskarten bei Kai. Beim Durchblättern entdeckt sie auf Rückseiten Notizen einer jungen Frau, Xiaoxin, die deren Leben – nachdem sie von ihrer offenkundig recht reichen Tante mit anderen Leiharbeitern in eine Hochhauswohnung gepackt worden war – beschreibt. Die beiden Frauen werden sich nicht begegnen, das ahnt der Zuschauer früh, daher kann man es bedenkenlos spoilern.
Die Regisseurin Nele Wohlatz („El Futuro Perfecto“, 2016, Goldener Leopard für das beste Debüt in Locarno) schrieb zu ihrem zweiten Spielfilm „Sleep with your eyes open“ auch das Drehbuch. Erneut widmet sie sich der chinesischen Community bzw. Menschen, die von der Zentralrepublik als Teil ihres Reiches gesehen werden – in jedem Fall stehen Frauen und Männer im Mittelpunkt, die ohne richtige Sprachkenntnisse – in dem Fall portugiesisch – von einer fremden Stadt in die nächste ziehen, zunächst mit einem Touristenvisum angekommen bei meist relativ reichen Verwandten ohne Bezahlung schuften, später es im “Idealfall” schaffen, ein eigenes kleines Business zu starten oder eben ernüchtert in ihre Heimat zurückzukehren. So ein Leben ist generell hart, hier oft geprägt von Ärger mit Einheimischen, was letztlich regelmäßig zu unruhigen gar schlaflosen Nächten führt. Es gibt ungeschriebene Regeln, wie sich Emigranten zu benehmen haben. Manche packen es nicht die Ausbeutung und Ausgrenzung wegzustecken. Was bleibt sind Sehnsüchte.
Wohlatz arbeitete für diesen Film mit einer durchweg professionell agierenden Mischung aus Laien- und Berufsdarstellern. Die Geschichte die sie erzählt ist dabei in drei Akte geteilt: im ersten geht es um Kai und ihre ersten Tage in Brasilien. Im zweiten wird Kai zu einer unsichtbaren Erzählerin: Für den Zuschauer betritt Xiaoxin “die Bühne”, um dann aber auch wieder spurlos zu verschwinden. Der letzte Akt gehört wieder Kai. Viele Gefühle der ihr unbekannten Schreiberin, die eigentlich ein Buch verfassen wollte und die Postkarten eher als Notizzettel verwendet hatte, scheinen ihr vertraut. Aber nun hat sie eine spezielle Mission…
In der brasilianisch-argentinisch-taiwanesisch-deutschen Produktion werden viele Sprachen gesprochen, hierzulande läuft sie im Kino mit deutschen Untertiteln – der Vielklang der Sprachen bleibt so zum Glück erhalten. Ab und an wirkt „Sleep with your eyes open“ (FIPRESCI-Preis der Encounters Sektion der Berlinale) schon etwas langatmig, besticht aber letztlich mit feinem Humor und guter Beobachtungsgabe und gewollter Beiläufigkeit. Das Gefühl, überall hingehen und sich anpassen zu können, gleichzeitig aber nirgendwo wirklich dazuzugehören, dürfte vielen Zuschauern mit Wurzeln aus anderen Ländern wenn sie an ihr Dasein in Deutschland denken leider irgendwie bekannt vorkommen.