Ihre Trüffelschweine im fränkischen Einheitsbrei

Spurensuche in Istanbul

Ein nicht nur altersmäßig sehr ungleiches Duo macht sich auf dem Weg von Georgien in die Türkei um dort eine verschollene Transfrau zu suchen. Nach dem Erfolgsfilm „Als wir tanzten“, dem schwedischen Oscar-Beitrag von 2020, widmet sich Regisseur Levan Akin mit „Crossing – Auf der Suche nach Tekla“ einem weiteren queeren Thema, erzählt aber vor allem eine Menge an sozialer und gesellschaftlicher Realität über eine kleine, nicht nur in Fragen der Sexualität konservative, Kaukasusrepublik.

Lia ist eine pensionierte Lehrerin, streng und unnahbar wirkend. Am Sterbebett ihrer Schwester hat sie dieser das Versprechen gegeben, deren verschollene Tochter, also ihre Nichte wiederzufinden: Tekla – eine Transfrau galt als Schande der Familie und überhaupt für die gesamte Dorfgemeinschaft im georgischen Südkaukasus, eben weil sie formal “anders” als die Norm war. Seitdem sie dafür vom Vater aus dem Haus gejagt worden war, hat sie hier niemand mehr gesehen. Ehe die Suche richtig startet trifft Lia in der  heruntergekommenen Siedlung an der Schwarzmeerküste eher zufällig den jungen Achi, der Tekla besser zu kennen schien und auch keine Vorbehalte gegen diese zu hegen scheint. Sie sei in die Türkei gegangen, berichtet er und bietet Lia sogleich seine Begleitung an, nicht zuletzt weil er sich in seinem eigenen Zuhause nicht wohl fühlt, was in seinem Fall aber Nichts mit Fragen der Sexualität zu tun hat. Er spreche etwas türkisch und englisch, und er wisse genau, wo man ihre Nichte in Istanbul finden könne. Notgedrungen stimmt die ältere Frau zu. In der Metropole am Bosporus angekommen steuert das ungleiche Gespann das Prostituiertenviertel an, begibt sich gezielt abseits der bekannten touristischen Pfade, landet in Straßenzügen, die von Ausgestoßenen aus der wie in Georgien auch hier betont patriarchalischen Gesellschaft bewohnt werden. Doch sämtliche Transfrauen die sie ansteuern können ehrlichen Herzens nicht weiterhelfen, zumindest aktuell war hier keine Georgierin am Start auf die die Beschreibungen zutreffen. Erst als Lia und Achi eher zufällig die Transaktivistin und Anwältin Evrim kennenlernen, stoßen sie auf die Spur der Verschollenen…

„Crossing – auf der Suche nach Tekla“ heißt der neue Film des schwedischen Regisseurs mit georgisch-türkischen Wurzeln, Levan Akin, der auch das Drehbuch schrieb. Wie in seinem Vorgänger „Als wir tanzten“ widmet er sich dem für Georgien noch immer extrem brenzligen queeren Themenfeld. Als 2019 letztgenannter Film über einen schwulen Tänzer ins Kino KAM; sorgte er – um es milde zu sagen – für große Aufregung bei den „Traditionalisten“. Ein aufgebrachter Mob sperrte die Zugänge zum Kino in der Hauptstadt Tbilisi, wo die Premiere stattfinden sollte, unterstützt und verstärkt durch die (nicht nur wenn es um “Homosexualität” o.ä. geht) erzkonservative georgische orthodoxe Kirche.

Auch in Akins zweiten Film in georgischer (bzw. hier zusätzlich auch türkischer) Sprache geht es also um sexuelle Minderheiten: in dem kleinen Kaukasusstaat, wo die Geschichte startet, stehen Trans-Menschen auf der untersten Stufe der Gesellschaft. Wenn sie ihren Lebensentwurf offen zeigen riskieren sie tatsächlich nicht selten ihr Leben. Die georgische Mehrheitsbevölkerung ist sich zwar uneinig ob sich ihr Land auf Gedeih und Verderb Richtung Nato oder Europäischer Union andienen soll, aber bei solchen Fragen gibt es außerhalb von Aktivistenkreisen zumindest offiziell keine zwei Meinungen. Und so ist es leider absolut authentisch, wenn Filmfigur Lia in einer Sequenz erzählt, wie ein Vater angeblich zufällig seinen kleinen Sohn erschoss, weil dieser nicht dem Bild von Männlichkeit entsprach. Aus der Gesellschaft ausgestoßen, sind queere Menschen oft zur Prostitution gezwungen, um zu überleben. Als Lia den Mut respektive die Reife findet, endlich offen zu ihrer Nichte zu stehen – denn auch sie schritt nicht ein, stand nicht zur Seite, als man Tekla dereinst sprichwörtlich aus dem Land jagte – scheint es allerdings schon zu spät…

„Crossing“ zeigt entsprechend nicht nur eine Überschreitung von Landesgrenzen und sozialer Schichten, sondern auch der inneren Einstellungen von Menschen. Akin urteilt nicht, sein Film ist voller Liebe, Traurigkeit und Empathie. Teilweise mit leisem Humor porträtiert er die augenscheinlich lebhafte LGBTQ-Community in Istanbul, erzählt über ihren zwar immer noch schweren Kampf um Anerkennung – aber im Unterschied zu Georgien hat man sich hier gewisse kleine Schutzräume schaffen können.

Nicht “nur” weil der hervorragenden Mzia Arabuli, einer namhaften, mittlerweile 71 jährigen georgischen Schauspielerin, als Lia Lucas Kankava als Achi und Deniz Dumanli als die Menschenrechtsaktivistin in ihren ersten Filmrollen nichts nach stehen ist „Crossing – auf der Suche nach Tekla“ für kulturkueche.de der absolute Topfilm des Monats Juli 2024.



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