Ihre Trüffelschweine im fränkischen Einheitsbrei

Filmtipp November 2014: Quatsch und die Nasenbärbande

quatsch_nasenbaerIrgendwo in Deutschland gibt es das überschaubare Städtchen Bollersdorf. Es besitzt alles, was andere kleine, für Außenstehende leicht verschlafen wirkende Orte eben gemeinhin so besitzen: ein Rathaus, eine Kirche, einen Wassertum, einen kleinen Bahnhof, eine Feuerwehr. Bollersdorf hat darüber hinaus gerade auch noch eine Baustelle – denn ein Freibad soll es bald auch noch geben. Deswegen steht hier auch ein riesiger Baukran, den Ben, Lene, Max, Paul, Rieke und Suse zu ihrem Rückzugsraum auserkoren haben, etwa wenn sie mal wieder aus dem Kindergarten ausbüchsen. Zusammen mit ihrem pfiffigen Kumpel, einem Nasenbär namens Quatsch, bilden sie – na klar – die Nasenbärbande. Und wenn sie mal gerade nicht auf dem Kram herumsitzen spielen und plaudern und tüfteln sie am liebsten mit ihren Großeltern. Kurzum: ihr Leben ist bunt und voller Abenteuer und Harmonie, bis eines Tages drei Männer von der Gesellschaft für Konsumentenforschung (GKF) in Bollersdorf auftauchen.

Die GKF hat den Ort nämlich als durchschnittlichsten in ganz Deutschland ermittelt, hält die Bollersdorfer somit für bestens geeignet, Produkte vor ihrer regulären Markteinführung – Essen wie Gerätschaften – lieber noch mal von Otto Normalverbraucher auf vollendete Akzeptanz prüfen zu lassen, ehe manche Waren trotz teurem Marketing bundesweit floppen könnten. Nach dem Motto wenn es den Menschen hier (der Oberbürgermeister ist im Übrigen ebenso wie die Eltern, die gern Nullachtfünfzehn sind, begeistert von der Marktforschung) gefällt, gefällt es Hundertausenden anderen auch. Und so beginnen die Konsumentenbeobachter in ihren Silberanzügen (angeführt von dem Charakter von Alexander Scheer), alles, was aus der Reihe der Durchschnittlichkeit tanzen könnte, aus Bollersdorf zu verbannen: Gar der Nasenbär muss sich vor einem Kammerjäger (!) verstecken, weil seine Spezies als Haustier statistisch kaum erfasst und dadurch von der GKF unerwünscht ist. Als dann auch noch die Großeltern im Ort ohne Wenn und Aber spätestens mit 68 ins Heim abgeschoben werden, wo sie – mit Schlaftabletten vollgepumpt – für ihre Enkel nicht mehr ansprechbar sind, bringt das Fass zum Überlaufen und die Nasenbärbande beginnt gegen den Durchschnitt zu rebellieren.

„Quatsch und die Nasenbärbande“, der neue Film von Veit Helmer (“Tuvalu”, “Baikonur”, “Absurdistan”), versteht es bestens verspielte Geschichten mit viel Humor darzustellen und ist auch visuell schlichtweg zauberhaft. Die sechs neugierigen, abenteuerlustigen, toughen Knirpse – die wunderbar authentisch vor der Kamera agieren (eingebettet in ein sehr gut harmonierendes Schauspielensemble – Fritzi Haberlandt, Benno Fürmann, Nadeshda Brennicke, Jule Böwe, Margarita Broich, Wolfram Koch, Udo Schenk und Rolf Zacher spielen dabei auch sehr orignell gegen alte Rollenklischees an) – wirken letztlich gar anarchischer als Pippi Langstrumpf und Jean-Pierre Jeunets fabelhafte Amelie (vor der sich der Streifen in seiner Bildsprache phasenweise tief verbeugt) zusammen. Ihr einfallsreicher und erbitterter Kampf gegen den Statistikwahn der GKF (“Quatsch” bietet herrliche Seitenhiebe auf die reale GfK aus Nürnberg. Die Gesellschaft für Konsumforschung unterhält in Haßloch seit 1986 einen “bundesweit einzigartigen” Testmarkt…) der – noch das kleinste Malheur – unter anderem dafür sorgt, dass  irgendwann gar Mädchenzöpfe in Gips liegen, könnte so manchem Elternteil etwas Angst einjagen, ihre Kinder würden auf „unpassende“ Gedanken gebracht. Doch wer bis zu den letzten Abspannsekunden im Kino bleibt kann sich auch auf eine pädagogische Fußnote freuen.

kulturkueche.de Fazit: Dieses Feuerwerk an Individualität und Kreativität ist ein absolutes Muss, funktioniert – keineswegs selbstverständlich in Anbetracht der Primärzielgruppe – altersunabhängig, ist also auch ohne Kinderbegleitung für Erwachsene ein Genuss. Für uns eindeutig der mit Abstand (!) beste Kinderfilm aus Deutschland seit Jahren.



Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *